Mit dem weltweit steigenden Bedarf an Koscher- und Halal-Produkten werden auch Herstellung und Export der Produkte komplexer. Ein gutes Netzwerk und viel Kreativität helfen Unternehmen, Hürden und Unwägbarkeiten zu überwinden.

 

Eins ist klar: Koscher und Halal produziert man nicht mal eben so! Hier ist Wissen über die hiesige und internationale Zertifizierungswelt gefragt – und Zeit. Bereits zu Beginn der Planungen muss klar sein, wohin die Halal- oder Koscher-Produkte gehen sollen. Denn viele Zielmärkte geben vor, welches Siegel überhaupt ins Land eingeführt werden darf und welches nicht. Hiesige Zertifizierer müssen über eine Akkreditierung im Zielland verfügen und binden sich damit an einen individuell vorgegebenen Standard und seine Anforderungen. Nicht jeder Zertifizierer wird überall akzeptiert. Möglicherweise akzeptiert der eigene Zertifizierer nicht das Zertifikat des Rohstofflieferanten oder der ausländische Abnehmer hat eigene Vorstellungen zum Zertifikat. „Die gegenseitige Anerkennung von Zertifizierern, ihrer Zertifikate, treibt uns permanent um“, erklärt Frank Sieveke, Quality Manager bei Wilhelm Reuss. „Denn es gibt keinen gültigen Standard für alle. Es kommt zu Missverständnissen und Reibungsverlusten in der Kommunikation, denn Worte wie ´koscher´ und ´halal´ bedeuten bei Lieferanten, Kunden und Zertifizierern nicht immer das gleiche.“ Ein Problem, das die Mitglieder der Arbeitsgruppe Halal und Koscher der IHK kennen. Es wird viel Zeit damit verbracht, die Anforderungen von Kunden und Zertifizierern unter einen Hut zu bringen – was nicht immer gelingt.

Grundwissen ist Voraussetzung

Der richtige Mix an Zertifizierern und Zertifikaten ist für die Anerkennung und den erfolgreichen Vertrieb auf internationalen Märkten ausschlaggebend. Sichergestellt werden muss dies in den internen Produktionsabläufen. Norbert Kahmann, bei Symrise in Holzminden verantwortlich für die gesamte Supply Chain bis zum Warenausgang, erklärt dazu: „Wenn Sie Verantwortung tragen für diese Bereiche, lernen Sie sehr schnell, dass Sie in ihrem Unternehmen an die Grenzen kommen können. Sie müssen einerseits Grundwissen über die Materie Koscher und Halal haben. Das versuchen wir auch als Erstes zu vermitteln, und Sie müssen es schaffen, in Ihrer Supply Chain einen neu zu erlernenden Ablauf zu integrieren. Das stößt nicht immer auf Gegenliebe. Wir wissen alle, wie schwer es ist, Veränderungen zu implementieren.  Innerbetriebliche Prozesse können eine große Herausforderung bei der Zertifizierung darstellen, etwa bei möglichen Kreuzkontaminationen wie pulverförmigen Stoffen. Da sind uns oft die Hände gebunden, wenn ein Zertifizierer seine speziellen Anforderungen durchsetzen möchte und am Ende die Produktionsstätte nicht zertifiziert.“

Ernährungsgebote und Speisegesetze

Unverzichtbar für die Koscher- und Halal-Produktion ist das Wissen über islamische Ernährungsgebote und jüdische Speisegesetze, deren Vorgaben auch die Industrie berücksichtigen muss. Koscheres Fleisch und Geflügel erfordern eine spezielle Schlachtung, Reinigung, Inspektion und Handhabung. Der Standard kennt mehrere Stufen, die Produktion ist äußerst schwierig und daher nur selten im Angebot der deutschen Lebensmittelindustrie zu finden. Für Milchprodukte gibt es zwei Koscher-Kategorien: Chalav Yisroel und Chalav Stam. Chalav Yisroel beinhaltet ein höheres Maß an Überwachung ab Zeitpunkt des Melkens und ist erforderlich, wenn die Ware nach Israel geht, an staatliche Einrichtungen oder ultra-orthodoxe Gemeinden. Chalav Stam, ist möglicherweise nicht vom Melken an überwacht, aber ansonsten so reguliert, dass eine Verunreinigung mit nicht koscherer Tiermilch ausgeschlossen ist.

„Immer wieder werden Anfragen zur Super-Koscher-Produktion an uns herangetragen“, sagt Helge Bruhn von der DMK Deutsche Milchkontor GmbH. „Das ist nicht nur ein logistisches Problem, sondern auch mit erheblichem Mehraufwand und Kosten verbunden, angefangen beim Melken. Der Kashrut-Status des landwirtschaftlichen Betriebs muss überwacht, die Milch getrennt zu anderer Milch gelagert, transportiert, gegebenenfalls auch verplombt und versiegelt werden.“

Backwaren haben in strengen Gemeinden oft eine höhere Zertifizierungsstufe, bekannt als Pas Yisroel. Dies erfordert, dass der Ofen von einem Koscher-Beauftragten eingeschaltet wird. „Der Rabbi kommt zur Zündung der Öfen am Montag früh oder auch am späten Sonntagabend zu uns ins Werk. Danach laufen die Öfen bis zum nächsten Wochenende durch. Falls es zu Störungen kommt, die Temperatur zu stark abfällt, muss der Rabbi erneut anreisen. Das ist wichtig, bedeutet aber Zeitverlust. Gerade am Anfang, wenn man diese Zertifizierung neu einführt, muss man daher wirklich konsequent handeln und den Mitarbeitern das Verständnis für diese Anforderung klar machen“, so Iris Knoche-Roos von Bahlsen. Und dann gibt es noch Produkte, die Koscher-Parve sind. Sie enthalten kein Fleisch, Geflügel oder Milchprodukte. Diese Lebensmittel dürfen von jüdischen Personen in der gleichen Mahlzeit wie Milchprodukte oder Fleisch, Geflügel oder allein verzehrt werden. Das macht sie zu den vielseitigsten und am besten zu verkaufenden Koscher-Produkten.

Auch die Prozesse bei der Uelzena Gruppe, einem führenden europäischen Lohntrockner für Lebensmittel, gestalten sich aufwändig. „Eine Herausforderung bei der Sprühtrocknung ist der Wechsel von milchhaltigen auf nicht-milchhaltige Produktionen auf einer Anlage“, sagt Wolf-Dieter Borawitz, Koscher- & Halal-Beauftragter. „Sobald nach milchhaltigen Artikeln neutrale Koscherprodukte (Parve) hergestellt werden, ist eine zusätzliche rituelle Reinigung, genannt Kascherung, unter Aufsicht eines Rabbiners erforderlich. Dies  edeutet, auf einen 24-stündigen Stillstand der Anlage folgt eine weitere Reinigung – je nach Anlagengröße sechs bis zehn Stunden. Zum Zeitverlust bei jeder Kascherung kommt für die Anlage Stress und höherer Verschleiß hinzu. Eine sorgfältige und ausgeklügelte Produktionsplanung ist unumgänglich.“

Halal erscheint nur auf den ersten Blick einfacher, da es doch „nur“ um einzelne Inhaltstoffe wie alkoholische oder schweinehaltige Produkte und weniges mehr geht. Weit gefehlt! Was, wenn Teile einer Anlage nur mit Ethanol gereinigt werden können? Ein mögliches No-Go für die Halal-Produktion, denn einige Zertifizierer verbieten jeden Alkohol auf der Anlage, während andere das komplette Trocknen oder ein Nachspülen mit Wasser verlangen. Für die Carl Kühne KG ist die Essigproduktion das Herzstück jeder Zertifizierung. „Zum einen beliefern wir viele Kunden in der Industrie mit diesem Produkt, zum anderen ist es ein wesentlicher Bestandteil in einem Großteil unserer Produkte“, berichtet Christiane Wilkens-Ripcke, Key Account Manager, Asia-Pacific Region. „Essig  selbst ist kein Problem, nur die Herstellung. Alkohol wird zu Essig, wenn man ihn an der Luft stehen lässt. Essigbakterien sind überall in der Luft. Laut Koran so kein Problem. Nur  in der Industrie kann man natürlich so nicht arbeiten. Man hilft der Natur auf die Sprünge mit Zugabe spezieller Essigkulturen und Nährstoffen, damit die Essigbakterien sich wohl fühlen und schnell arbeiten. Das muss von der zertifizierenden Organisation akzeptiert werden und hat durchaus schon zu Problemen geführt. Ist das gelöst, muss der Essig durch ein Rohrsystem zu der jeweiligen Verwendung gelangen, ohne in irgendeiner Form unseren Weinessig zu kreuzen. Hier musste investiert und unsere Rohrleitungssystem  angepasst werden.“

Uelzena hat die Prozesse daher in den betroffenen Produktionsbereichen unter die permanente Koscher- und Halal- Überwachung durch namhafte Zertifizierer wie KLBD und HFFIA gestellt – zur Sicherstellung der Produktion nach religiösen Anforderungen, so Borawitz. „Um eine permanente Überwachung zu gewährleisten, werden die Produktionen  wöchentlich rollierend mit einem vierwöchigen Forecast und den erzielten  Produktionsausbeuten dem KLBD und der HFFIA gemeldet. Dieser Prozess wurde über die Jahre weiterentwickelt und ist heute fest etabliert. Allerdings versuchen die für die Kunden zuständigen Halal-Zertifizierer wiederholt, durch Umgehen der HFFIA und der betreffenden Kunden, Audits bei uns durchzusetzen. Für uns bedeutet das immer wieder, unter Einbindung der HFFIA und der Kunden, diesen äußerst sensiblen Geschäftsbereich zu schützen.“ Diese Erfahrung haben viele Mitglieder der IHK-Arbeitsgruppe Halal & Koscher gemacht. Sie sind bei führenden Koscher und Halal Organisationen zertifiziert, erfüllen alle Anforderungen an die Produktionsstätten. Dennoch kommt es immer wieder zu Akzeptanzdiskussionen mit Kundenzertifizierern und zusätzliche Audits werden gefordert.

Spezialthema: Tankzüge

Ein weiteres heikles Thema ist die An- und Auslieferung von flüssigen Halal- und Koscher-Waren in Tankzügen. „Tankwagen, die für verschiedene Produkte verwendet werden, könnten religiös nicht zulässige Produkte – wie nicht  koscheren Alkohol, tierische Fette – bei der letzten Fahrt transportiert haben. Dies führt bei einer Halal- oder Koscher-Produktion zu einem nicht zulässigen Status“, erklärt Manfred Straninger von der Döhler GmbH. „Daher ist hier eine entsprechende Reinigung notwendig. Diese ist bis heute noch nicht abschließend standardisiert. Um dies in den Griff zu bekommen, lassen sich die Unternehmen von ihren Spediteuren bestätigen, dass die letzten drei Lieferungen halal– und koscherkonforme Produkte geladen hatten. Zusätzlich wird das Reinigungszertifikat des Tankwagens verlangt, aus dem hervorgeht, dass auch eine Dämpfung der Leitungen und Kammern erfolgt ist. Proben auf Sauberkeit mit Abstrichen und anschließender Untersuchung runden das Bild ab.

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