In Innenstädten kommt es mitunter vor, dass DHL, Hermes, UPS, GLS und DPD zur gleichen Zeit am gleichen Ort ihre Pakete zustellen. Die verstopften Straßen sind nur ein Grund, wieso der Göttinger Logistikexperte Felix Dossmann ein Konzept entwickelt hat, das Abhilfe schafft. Die Idee: Ein Dienstleister übernimmt die Zustellung auf der letzten Meile.
 

Sie halten meist irgendwo, blockieren Wege oder Eingänge. Und wenn es schlecht läuft, dann kommen sie zur gleichen Zeit und behindern regelrecht das Durchkommen auf den Straßen der Göttinger Innenstadt. „Das ist für uns schon lange ein Ärgernis, das wir gern angehen würden“, sagt Susanne Heller als Vorsitzende der Göttinger Interessengemeinschaft Pro City. Eigentlich dürften ab 11 Uhr gar keine Sendungen in der Fußgängerzone mehr zugestellt werden, aber daran würden sich die meisten schon lange nicht mehr halten.

Nachhaltige City-Logistik

Deswegen begrüßt die Chefin des Göttinger Fachgeschäfts Betten Heller ausdrücklich die Idee einer nachhaltigen City-Logistik, die ihr Felix Dossmann vor einigen Monaten das erste Mal vorgestellt hat. Der Göttinger hat vor knapp zwei Jahren seine Beratungsfirma verkauft, die unter anderem bekannte bundesweite Supermarktketten in Sachen Logistik unterstützt hat. Da ihn selbst oft das Nebeneinander der Dienste in den Innenstädten gestört hat, entwickelte er das Konzept SLAM, was für „nachhaltige letzte Meile“ stehen soll. Kern der Idee ist der Gedanke, dass ein Dienstleister auf den letzten Metern die Pakete aller Anbieter zustellt. Das bietet gleich mehrere Vorteile: Beispielsweise können die Touren so effizienter geplant werden, bei einem Stopp können mehr Pakete auf einmal übergeben werden und es werden insgesamt auch weniger Fahrzeuge und Fahrer benötigt.

Wer sich das nicht vorstellen kann, dem sei ein Blick in die sogenannte KEP-Studie 2019, erstellt vom Bundesverband der Kurier-, Express- und Postdienstleistern, empfohlen. In dieser war untersucht worden, wie sich der Zusammenschluss zweier Dienstleiter auf der letzten Meile bemerkbar macht. Die Studie kommt zwar zu dem Ergebnis: „Von einer Gebietskonsolidierung zweier KEP-Dienstleister auf der letzten Meile sind nur minimale positive logistische Effekte zu erwarten, die im verkehrlichen Bereich auf der letzten Meile kaum spürbar sind“. Aber dass selbst diese Studie positive logistische Effekte sieht, hat Dossmann darin bestärkt, seine Idee weiter zu verfeinern. „Denn neben logistischen Vorteilen ergeben sich ja auch wirtschaftliche, ökologische oder soziale Vorteile“, betont der 46-Jährige. Eine intelligente Software könnte etwa berücksichtigen, dass bei bestimmten Adressen vormittags keine Belieferung möglich ist – und diese gezielt auf eine Tour am Nachmittag legen.

Start zum Weihnachtsgeschäft?

In diesen Tagen wird ein Unternehmen gegründet, dass die Idee in Göttingen in die Tat umsetzen will, zumindest einen ersten Schritt. Ziel ist es zunächst, dass bereits zum Weihnachtsgeschäft ein lokaler Lieferdienst arbeitet, der den Kundinnen und Kunden die bei einem Innenstadtgeschäft gekauften Waren nach Hause liefert.

Einen Teil der Lösung gibt es schon: „Leila liefert“ heißt der Service von Leila Morgenroth, die mit Lastenrädern in Göttingen nachhaltige Transportleistungen anbietet. An einer Software werde derzeit noch gearbeitet, die dann alles verknüpfe. „Wenn die Ware verfügbar ist, sind wir damit schneller als Amazon“, freut sich Dossmann, der sich auch an der Gesellschaft beteiligen will. Nach dem lokalen Lieferservice wolle man dann im nächsten Schritt Paketdienstleistern anbieten, deren Sendungen auf der letzten Meile zu übernehmen.

Im Rat der Stadt Göttingen hat die Idee von SLAM viel Zustimmung erfahren. Für die Übernahme der Zustellung der Pakete von den Dienstleistern fehle aktuell allerdings noch eine große zentrale Fläche, die als Logistik-Hub dienen kann. DHL, Hermes und Co. könnten ihre Pakete dann dort abliefern, von wo sie gesammelt ausgeliefert werden. „Wenn die Unternehmen sich darauf nicht einlassen wollen, könnte die Stadt auch überlegen, Regeln zu erlassen, die die Firmen zur Zusammenarbeit zwingen“, erklärt Dossmann. Und auch die Frage der Finanzierung des nachhaltigen Systems hält er für lösbar, da ein Großteil der Marge bei den Paketsendungen auf der letzten Meile erwirtschaftet werde.

Wenn die Idee von SLAM Wirklichkeit wird, hätte das auch für die Geschäfte Vorteile. „Man wird nicht fünf Mal am Tag aus der Arbeit herausgerissen, nur weil wieder ein Paket kommt“, bemerkt Robert Vogel. Der Inhaber des Café Esprit und zweite Vorsitzende von Pro City sieht darüber hinaus viele weitere Vorteile. „Wenn wir das Projekt umsetzen, verbessern wir die Aufenthaltsqualität in der Stadt, vor allem, wenn es gelingt die Auslieferung ausschließlich auf Lastenräder oder elektrisch betriebene Fahrzeuge zu verlagern.“

 

Info: Initiative Urbane Logistik in Hannover

Auch in Hannover gibt Bestrebungen für neue Logistik-Konzepte: Bereits 2016 wurde in Hannover die Initiative Urbane Logistik ins Leben gerufen. Im Rahmen des von der Bundesregierung geförderten Forschungsprojekts „USEfUL“ will  die Initiative Liefer- und andere Wirtschaftsverkehre analysieren und am Beispiel hannoverscher Stadtviertel (Living Lab) in neue Lieferkonzepte münden lassen. Ziel ist eine auch für andere Kommunen nutzbare Web-Applikation als Entscheidungshilfe für zukunftssichere Logistikkonzepte in den Städten. Eine wesentliche Rolle spielen für den künftigen Lieferverkehr schadstofffreie Elektrofahrzeuge. Diese sollen in Hannover verstärkt zum Einsatz kommen. Neben der Stadt und dem Land Niedersachsen wirken in der Initiative unter anderem Volkswagen Nutzfahrzeuge, DHL und enercity sowie Hochschulen und Universitäten mit.

 

 

 

 

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