Vielleicht steckt in den Genen der Niedersächsischen Wirtschaft ja ein ganz klein wenig von jener Publikation, die als „Diese Woche“ in Hannover gegründet wurde und sich kurz darauf in Hamburg zum „Spiegel“ entfaltete. Ein Hauch, sozusagen. Und mag sein, dass das noch durchscheint im Ringen um einen Einstiegssatz, um einen Lead, wie Sie ihn gerade gelesen haben.

Auch solche stilistischen Fragen waren kurz nach dem Krieg ein großes Thema in der sich gerade bildenden Spiegel-Redaktion um den hannoverschen Fabrikanten- und
Kaufmannssohn Rudolf Augstein. Mit einiger Sicherheit war damals auch Johannes Niggemann ab und zu im Anzeigerhochhaus, um bei den britischen Militärbehörden
die Lizenz für eine neue IHK-Zeitschrift zu bekommen. Niggemann war der erste Chefredakteur der „Niedersächsischen Wirtschaft“. Bereits im Mai 1945 hatte er sich dafür eingesetzt, Wirtschafts- und Kirchenpresse wieder zuzulassen. Bei seinem Tod 1962 galt Niggemann vielen als Vorreiter von IHK-Zeitschriften, die nicht allein ein bloßes Bekanntmachungsorgan waren.

Die erste Ausgabe der „Niedersächsischen Wirtschaft“ trägt das Datum des 15. Mai 1946. Acht Seiten, auf grobem Papier gedruckt. Der erste Leitartikel, fast genau ein Jahr nach Kriegsende, steht unter der Überschrift „Tatsachen – Pläne – Hoffnungen“. Manches spricht dafür, dass Dr. Johannes Niggemann ihn schrieb. Er war Gründungschefredakteur der neuen Zeitschrift, Mitarbeiter der IHK Hannover, Journalist aus Überzeugung. Und er war es, der zunächst persönlich die Lizenz für die Niedersächsische Wirtschaft erhielt: So steht Niggemann 1947 im Impressum der NW. Denn die NW war – natürlich – zunächst ein Blatt der britischen Militärbehörden.

Um die Erlaubnis für eine neue IHK-Zeitschrift zu bekommen, wird Niggemann, das darf man getrost annehmen, des Öfteren im hannoverschen Anzeiger-Hochhaus gewesen sein. Seit Januar 1946 gab es in der britischen Besatzungszone wieder Zeitungen, zunächst in Braunschweig und Lüneburg. Einen Tag nach der Niedersächsischen Wirtschaft erschien in Düsseldorf erstmals das Handelsblatt.

Zwei Ausgaben monatlich für ein Gebiet zwischen Nordsee und Harz, das aber noch nicht Niedersachsen war: Erst ein paar Monate später entstand das Bundesland. Am 1. November meldete
die NW, dass „die britische Zone in die drei Länder ,Nordrhein-Westfalen‘, ,Niedersachsen‘ und ,Schleswig-Holstein‘ sowie in die vorläufig ihre Unabhängigkeit behaltenden Hansestädte Hamburg und Bremen gegliedert wird.“ Wobei das Wort Niedersachen im Text sehr deutlich hervorgehoben ist.

Denn Niedersachsen war den Industrie- und Handelskammern in Hannover und Hildesheim, in Emden, Oldenburg und Osnabrück, in Stade, Lüneburg, Wesermünde und Braunschweig wichtig: Sie hatten das Gebiet, das im Wesentlichen heute das Bundesland ausmacht, schon seit Jahrzehnten als in sich geschlossenes Wirtschaftsgebiet gesehen. Jetzt bildete es auch eine politische Einheit.

Die niedersächsischen Industrie- und Handelskammern trugen die neue Zeitschrift gemeinsam. Und die meisten waren schon beim unmittelbaren Vorläufer der NW dabei: Im Januar 1921 kam erstmals das „Wirtschaftsblatt Niedersachsen“ heraus.

Aber auch das ist noch nicht der Anfang. In Hannover reicht ihre Geschichte über 150 Jahre zurück. Erst in den 1980er Jahren endete dann nach und nach die gemeinsame Herausgeberschaft der Industrie- und Handelskammern: Seit 1989 führt die IHK Hannover
den Traditionstitel fort.

Zurück in die Gründungszeit. Schon bald fand die neue Zeitschrift ein erstes großes Thema. Nicht nur, dass Mitte 1947 die „soziale Marktwirtschaft“ als Wirtschaftsmodell vorgestellt und zur Aussprache darüber aufgerufen wurde: Wenige Wochen zuvor
hatte auch die NW eine Herbstmesse in der Landeshauptstadt angekündigt, Ursprung der heutigen Hannover Messe. Die Möglichkeiten, überhaupt eine solche Exportschau veranstalten zu können, wurden in der Zeitschrift geradezu leidenschaftlich diskutiert. Bis zur digitalen Ausgabe der nach wie vor weltweit bedeutendsten Industrieausstellung
in diesem Jahr begleitet die NW seither die Messe und den Messestandort insgesamt.
Und dazu zählt auch die von der IHK Hannover glühend unterstützte Expo 2000 und
nicht minder die IdeenExpo.

Es sind naturgemäß die Kernthemen einer IHK, die in ihrer Zeitschrift die Konstanten bilden. Die berufliche Bildung gehört dazu. Ebenso wie Berichte über die regionale Konjunktur: Mit ihrer vierteljährlichen Umfrage unter rund 2000 Unternehmen beobachten die Industrie- und Handelskammern detailliert die wirtschaftliche Entwicklung im Land. Die auf diesen Umfragen beruhenden Konjunkturberichte seien das Rückgrat der Zeitschrift, hieß es in der NW-Ausgabe 1973 zur Fusion der IHK Hannover und der IHK Hildesheim.

In der gleichen Ausgabe geht es um die damals gerade veröffentlichten Wachstumswarnungen des Club of Rome: Das akute Thema der Nachhaltigkeit
deutete sich an. Heute findet es sich in den Positionen der IHK Hannover. Die NW als Zeitschrift spiegelt das unter anderem mit einer Rubrik, in der nachhaltiges Engagement von Unternehmen vorgestellt wird.

Ebenfalls in die 70er Jahre fallen die ersten Hinweise auf den Aufstieg Chinas: Man sei ja schon an wirtschaftliche Überraschungen aus Japan gewöhnt, schrieb ein NW-Autor vor ziemlich genau 50 Jahren, aber es liege durchaus im Bereich des Möglichen, dass „China, wenn seine Entwicklung zum Industriestaat so weiter voranschreitet, alle bisherigen Leistungen der Weltwirtschaft in den Schatten stellt.“

Mag sein, dass der junge Offizier Chaloner sich mehr für die Zusammenarbeit mit den meist jungen Wilden um Augstein interessierte als für eine IHK-Zeitschrift. Aber Johannes Niggemann dürfte diese ganze Entwicklung gefreut haben. In seinen Unterlagen finden sich Hinweise darauf, dass er bereits mit Kriegsende auf die britischen Besatzungsbehörden zuging, um insbesondere in wirtschaftlichen und kirchlichen Bereichen die Zulassung einer von deutschen Redakteurinnen und Redakteuren geschriebenen Presse anregte, der Glaubwürdigkeit wegen. Und bei seinem Tod 1963 wurde Niggemann als Verfechter der Idee gewürdigt, den Veröffentlichungsorganen der Industrie- und Handelskammern den Charakter eines Magazins zu geben.

Nur kurz nach ihrer Gründung hatte die neue Zeitschrift ein erstes großes Thema. Nicht nur, dass im Frühsommer 1947 die „soziale Marktwirtschaft“ als Wirtschaftsmodell vor- und zur Aussprache gestellt wurde: Wenige Wochen zuvor hatte auch die NW eine Herbstmesse in Hannover angekündigt. Die Möglichkeiten, überhaupt eine solche Exportschau veranstalten zu können, wurden in der Folge geradezu leidenschaftlich diskutiert. Bis zur digitalen Ausgabe dieses Jahres begleitet die NW seither die Hannover Messe und den Messestandort insgesamt. Und dazu zählt auch die von der IHK Hannover leidenschaftlich unterstützte Expo 2000 wie nicht minder die IdeenExpo.

Als die Expo Hannover erreichter, gab es Handelskammer-Zeitschriften in Hannover schon seht mehr als 130 Jahren. In den frühen Jahren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand der technische Fortschritt auch als Thema über allem – was damit zu tun hatte, dass das Gewerbeblatt von damals eine gemeinsame Publikation mit dem Gewerbeverein war. Einer der prominentesten Autoren: Der hannoversche Hochschul-Urvater Karl Karmarsch. Die Ausgaben strotzen nur so von Hinweisen auf alles, was gerade neu war. Mehr und mehr Raum nahmen später Themen wie Bildung und Außenwirtschaft ein, und immer geht es um die Region: Was bietet die Wirtschaft mit ihren Branchen und Unternehmen, also: Was sind die Stärken? Und was muss verbessert werden? Es sind die Kernanliegen der IHK, um die sich die Niedersächsische Wirtschaft als Publikation dreht. Und, nicht zu vergessen, die gedruckte Ausgabe ist bis heute das Veröffentlichungsorgan der IHK, neben beispielsweise Prüfungsordnungen oder Sachverständigen auch für alles, was die IHK selbst betrifft – bis hin zu den alle vier Jahre stattfindenden Wahlen.

Im Zentrum steht aber immer die regionale Wirtschaft mit ihren vielfältigen Unternehmen. Deren Interessen zu vertreten, ist Aufgabe jeder Industrie- und Handelskammer. Und ebenso, die Wirtschaft zu fördern. Für die Niedersächsische Wirtschaft heißt das: informieren. Und das längst nicht mehr allein auf Papier. Die NW erscheint auch als Digitalausgabe, die dem gedruckten Heft entspricht. Das Webmagazin, in dem Sie diesen Beitrag lesen, ergänzt seit Ende 2017 die Digitalausgabe und bietet die Möglichkeit für mehr und aktuellere Information. Damals war und ist vielleicht bis heute das Webmagazin als IHK-Angebot in dieser Form einmalig. Digital first: Das gilt für die Niedersächsische Wirtschaft künftig noch mehr. Und als IHK-Publikation reiht sich die NW in eine Reihe anderer Kommunikationskanäle ein, mit denen die IHK Hannover Kontakt zu ihren Mitglieder und zur Öffentlichkeit hält: Internet, Newsletter, Social Media mit Twitter und Facebook oder Instagram. In den 75 Jahren seit der Erstausgabe vom 15. Mai waren die Veränderungen in der Medienwelt noch nie so massiv wie heute. Die Niedersächsische Wirtschaft wird sich auch daran anpassen, auch weiterhin.

In ihrer jetzt 75-jährigen Geschichte war die NW vieles, und ist manches heute nicht mehr: Pflichtblatt der Niedersächsischen Börse zu Hannover zum Beispiel. Bleiben wird sie auf Tausenden von Seiten ein Kaleidoskop der Wirtschaft eines Landes, das nahezu gleichzeitig mit dieser Zeitschrift gegründet wurde. Und vielleicht steht der Name Chaloner, den ein früher Spiegel-Mitarbeiter den „Vater der Pressefreiheit im Nordwesten Deutschlands“ nannte, ja auf der Lizenz für die Niedersächsische Wirtschaft. Auch das gehörte dann zu den Genen dieser Zeitschrift. Wir wären stolz darauf und, wenn es nicht so wäre, etwas enttäuscht.

 

 

 

 

 

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