Finnland und Deutschland haben jeweils Stärken, die gut zueinander passen.  Darauf weist Botschafterin bei Anne Sipiläinen im zweiten Teil des NW-Interviews hin.

 

Frau Sipiläinen, in welchen Bereichen können sich Finnen und Deutsche gut ergänzen?

Finnland und Deutschland arbeiten traditionell eng zusammen. Schon seit 2014 ist Deutschland unser wichtigster Handelspartner. So haben sich unsere Wirtschaften dahingehend entwickelt, dass sie sich gegenseitig ergänzen. Vor allem Maschinen, Kraftfahrzeuge, Holz- und Papierprodukte sowie Metallerzeugnisse stehen im Mittelpunkt unserer Handelsbeziehungen. Finnland exportiert nach Deutschland auch viele Zwischenprodukte, die in Deutschland zum Teil für andere Länder weiterverarbeitet werden. Auch neue, interessante Branchen sind im Kommen: Beispielsweise steigt auf dem deutschen Markt die Nachfrage im Nahrungsmittelsektor und im Gesundheitstechnologiesektor.

Während der Coronakrise hat sich herausgestellt, dass die Stärken Finnlands auf dem deutschen Markt vor allem im Bereich des digitalen und des grünen Wandels liegen. Die Energiewende Deutschlands mit Atom- und Kohleausstieg verlangt energieeffizientere und umweltfreundli-chere Lösungen: von Wasserstoff- und Batterietechnologie über Intelligente Netze bis hin zum Reservestrom. Auch auf EU-Ebene arbeiten Finnland und Deutschland bei wichtigen Energieprojekten von gemeinsamem europäischem Interesse zusammen. Deutschland hat bei der Digitalisierung der Industrie große Fortschritte gemacht: Industrie 4.0; Finnland wiederum verfügt über Know-how in den Bereichen 5G/6G-Technologien, Quantentechnologien sowie Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, von Schulen oder beispielsweise von Krankenhäusern. Ein gutes Beispiel für einen vielversprechenden Zusammenarbeitsbereich ist die Automobilindustrie, die den Grundstein der deutschen Wirtschaft bildet: Der Digitalisierungsdruck der Branche ist groß, und Finnland kann vor allem in den Bereichen Datenübertragung, Datensicherheit und drahtlose Datenübertragung sein Know-how anbieten.

 

Zum Abschluss: Corona hat Finnland nicht so fest im Griff wie viele andere Länder, der Inzidenzwert lag immer deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Auch die Wirtschaft ist weniger betroffen gewesen. Was tun Sie jetzt für die Unternehmen? Gibt es einen Exit-Plan aus der Pandemie?

Dank der guten Vorsorge und der Resilienz des Gesundheitswesens hat Finnland die Coronakrise lange Zeit besser als viele andere EU-Länder gemeistert. Ein absoluter Lockdown konnte in Finnland bis jetzt vermieden werden. Leider steigen die Infektionszahlen derzeit auch in Finnland, weshalb die Regierung des Landes am 1. März den Ausnahmezustand verhängt und neue Einschränkungen beschlossen hat.

Laut vorläufigen Angaben ist die Wirtschaftsleistung Finnlands letztes Jahr in Folge der Coronakrise um 2,9 Prozent zurückgegangen. Für dieses Jahr erwartet die Regierung ein Wachstum von 2,5 Prozent. Vor allem unser Außenhandel hat unter der Krise gelitten: Er ist im Vorjahr um mehr als zehn Prozent geschrumpft.

Der Anteil der staatlichen Beihilfen für Unternehmen ist auf rund zehn Prozent des BIP gestiegen. Bevorzugt unterstützt worden sind Entwicklungsmaßnahmen von Unternehmen, da die Krise nicht von heute auf morgen vorbei sein wird. Ziel war es, den Unternehmen zu helfen, die schwierige Zeit zu überwinden und stärker aus der Krise herauszukommen. Bei den staatlichen Corona-Hilfen handelt es sich hauptsächlich um Kostenunterstützung für Unternehmen, deren Umsatz aufgrund der Pandemie beträchtlich eingebrochen ist. Weitere Unterstützungsformen sind staat¬liche Bürgschaften und Finanzierungsprogramme der staatlichen Investmentgesell-schaft. Gemeinsam mit den Sozialpartnerorganisationen wurde ein Beschäftigungspaket entwickelt, das das Funktionieren des Arbeitsmarktes verbessern soll. Darüber hinaus hat Finnland viele der gleichen Instrumente wie Deutschland eingesetzt: beispielsweise eine zeitlich befristete Änderung des Insolvenzgesetzes, Unterstützung der Gastronomiebranche sowie Corona-Hilfen für Soloselbständige.

Die vom finnischen Finanzministerium geleitete Arbeitsgruppe für Exit-Strategie und Wiederaufbau hat letzten Juni den zweiten Teil ihres Berichts an die Regierung übergeben. Der Bericht befasst sich mit den kurz- und langfristigen Auswirkungen der Coronakrise auf die Gesellschaft, und in ihm wird auch ein Plan für eine Strategie für Folgenbewältigung und Wiederaufbaustrategie entworfen. Ziel der Folgenbewältigung, die nach der akuten Krisenphase erfolgen soll, ist es, die Gesellschaft bei ihrer Erholung zu unterstützen, Langzeitfolgen vorzubeugen und Vertrauen zu stärken. Auch der Wiederbelebung der Wirtschaft nach der Coronakrise soll die Folgenbewältigung dienen.

Hier geht es zum ersten Teil des NW-Interviews im Anne Sipiläinen.

 

 

Jetzt Artikel teilen!