Die „Vision der autofreien Innenstadt“ stand im Mittelpunkt einer Diskussion von Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay mit IHK-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt und dem Vorsitzenden des Industrieclubs Dr. Carsten Kuhlgatz.
Eigentlich ein Einstieg, wie ihn sich Belit Onay nicht anders hätte wünschen können. Vor einigen Wochen hatte Hannovers Oberbürgermeister einen umfassenden Innenstadtdialog ausgerufen. Die IHK Hannover und der Industrie-Club boten dafür jetzt eine erste Plattform. Dabei schwebte das Wort „autofrei“ über der Diskussion: Ein Begriff, der leicht die deutlich vorhandenen Schnittmengen zwischen den einzelnen Positionen zu verdecken droht.
Entsprechend wünschte sich IHK-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt zunächst eine Klärung, was denn überhaupt mit „autofrei“ gemeint ist. Und Dr. Carsten Kuhlgatz brach grundsätzlich eine Lanze für das Auto: Die Möglichkeit, auch größere Einkäufe leicht transportieren zu können, transportieren zu können, mache einen wichtigen Teil der Innenstadt-Attraktivität aus. Außerdem gehe es ja nicht nur um die Erreichbarkeit des Handels, sondern auch vieles mehr: Ärzte, Anwälte, Justiz oder Verwaltung. Und er betonte die Bedeutung der Automobilindustrie gerade für Hannover. Autofrei als Ausgrenzung? Das darf nicht sein, so Kuhlgatz im Schulterschluss mit Hannovers GOP-Chef Dennis Bohnecke. Vorschlag also: Einfach das Etikett „autofrei“ von der Diskussion ablösen.
Von dem Begriff lassen mochte Belit Onay aber dann doch nicht. Und wesentlich konkreter fasste er ihn ebenfalls nicht, betonte aber erneut: „Autofrei heißt nicht menschenleer.“ Er kann sich weiterhin eine autofreie Innenstadt innerhalb des Cityrings bis zum Jahr 2030 vorstellen – und mit Ausnahmen für verschiedenste Bereiche, etwa den Lieferverkehr. Er wolle sich auch gar nicht an den Begriffen festbeißen, so Onay. Also doch eher autoarm als autofrei? Der Oberbürgermeister ließ jedenfalls keinen Zweifel daran, dass eine Neuaufteilung des Raumes in der Innenstadt und eine Neuordnung der Verkehrsströme auf jeden Fall zu Lasten des Autos gehen müsse. Das sei zumindest in einigen Bereichen auch ein „Attraktivitätskiller“. Das Auto verteufeln wolle er aber nicht.
Onays erklärtes Ziel ist: Passend zum jeweiligen Bedarf mit modernen Konzepten die Innenstadt auf neuen Wegen zu erschließen. Natürlich hat Onay dabei das Fahrrad im Blick, aber auch das, was aktuell unter Begriff Mikromobilität läuft: Individuelle Fortbewegung auf Kurzstrecken, vorzugsweise elektrisch angetrieben und gerne auch digital buchbar. Auch Logistik-Konzepte für den Handel gehören dazu. Onay: „Mehr Mobilität erreichen, um mehr Menschen eine Teilhabe zu ermöglichen.“
Was sich zunächst nach Schlagwort anhört, bot aber dann abseits davon einen festeren Boden für die Diskussion. Autofrei ist das eine. Moderne Verkehrskonzepte sind aber etwas anderes, so IHK-Chefin Bielfeldt. An der Mobilitätswende kommt man auch beim Innenstadtverkehr nicht vorbei. Fahrrad, Carsharing oder Elektromobilität: Welche Verkehrsmittel und welche technischen Lösungen gibt es, wie verteilen sich dann die Verkehrsströme? Darüber könne man nachdenken und gemeinsam daran arbeiten, so Bielfeldt. Eine autofreie Innenstadt sieht sie weder jetzt noch künftig, und sie warnte auch davor, eine Diskussion nur unter diesem Schlagwort zu versuchen: Weder Menschen noch Wirtschaftszweige dürfen abgehängt werden.
Bielfeldt stellte die Zukunft des Verkehrs in der City aber vor allem auch in den größeren Rahmen der zurzeit akuten Diskussion um die Innenstädte insgesamt. Damit sieht sie sich durchaus auf einer Linie mit Belit Onay. „Wir müssen Attraktivität schaffen. Es muss uns gelingen, die Menschen in die Stadt zu bringen, weil sie sich dort wohlfühlen“, so die IHK-Chefin. Sie wies auf die durch Corona dramatische Lage des Handels hin, betonte aber auch darüber hinaus die Notwendigkeit, für Sicherheit und Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu sorgen. Bielfeldt setzt dabei unter anderem auf Business Improvement Districts (BID) und damit auf die Eigeninitiative einzelner Stadtteile und Quartiere. Nach jahrelanger Diskussion scheint jetzt immerhin die gesetzliche Grundlage dafür auf der Zielgerade zu sein. Ein weiterer Mosaikstein: Nachfolgekonzepte für Einzelhandelsgeschäfts, um Leerständen zu begegnen. Aber die Neu-Hannoveranerin – Maike Bielfeldt ist seit Anfang September IHK-Hauptgeschäftsführerin – forderte auch Mut und Visionen: In Hannover gibt es alles, was nötig ist, um eine Vorreiterregion zu werden, vom industriellen Umfeld bis zu einer Innenstadt mit nach wie vor hoher Frequenz.
Bielfeldt signalisierte nicht nur erneut Gesprächsbereitschaft beim jetzt beginnenden Innenstadt-Dialog. in, sondern forderte die Beteiligung ein: „Nehmen Sie die Wirtschaft mit“, sagte sie an Belit Onay gerichtet und beschrieb gleichzeitig den Spagat, der zu bewältigen ist: „Die Stadt attraktiv und lebenswert zu machen, gleichzeitig die Wirtschaft zu halten.“ Darüber müsse man insgesamt reden – nicht nur in der Betrachtung einzelner Aspekte.