Vielleicht denkt man das nicht auf Anhieb, aber Armut ist schon lange ein Thema für Ökonomen. Die Armut einzelner Menschen, aber auch die ganzer Nationen. Und wenn man nach Wohlstand strebt: Was ist das überhaupt?
Der Wohlstand, der Reichtum von Nationen steht am Anfang der Volkswirtschaftslehre: Gebetsmühlenartig nennen Ökonomen als Ursprung ihrer Wissenschaft ein Buch, das der schottische Philosoph Adam Smith 1776 veröffentlichte: An Inquiry into the Nature und the Causes of the Wealth of Nations, also „Eine Untersuchung über das Wesen und die Gründe für den Reichtum von Nationen“. Mancher Volkswirt hat das Werk im Bücherschrank. Einige haben es vermutlich auch gelesen.
Smith schrieb sein Buch ziemlich genau zu der Zeit, als es mit der Industrialisierung so richtig losging. Erst in England, und kurze Zeit später in vielen Teilen Europas. Die technischen Erfindungen entfesselten in Verbindung mit weiteren Faktoren enorme Wachstumskräfte, von denen zum Beispiel auch Karl Marx höchst beeindruckt war. Sie brachten einen enormen Reichtum einiger Nationen. Mit dem individuellen Reichtum der Menschen allerdings sah es höchst unterschiedlich auch. Auch dazu könnte man gut Marx befragen.
Aber hier geht es erstmal um den Wohlstand ganzer Länder. Und das beginnt mit der Frage, wie man den eigentlich misst. Üblicherweise kommt hier das Bruttoinlandsprodukt ins Spiel. Das ist grob gesagt das, was in einem Land in einem bestimmten Zeitraum – meist wird ein Jahr betrachtet – an Waren und Dienstleistungen hergestellt oder erbracht wird: die Wertschöpfung eines Landes. Man kann es in Euro und Cent berechnen und damit auch ganz gut einschätzen. Ist es höher oder niedriger als in anderen Ländern? Wächst es? Aktuell nicht, wegen Corona, und das in vielen Teilen der Welt.
Aber zeigt das so schön übersichtliche Bruttoinlandsprodukt – kurz BIP – überhaupt richtig, wie der Wohlstand eines Landes ist? Manche kritisieren allein schon, dass bestimmte Leistungen gar nicht erfasst werden – unbezahlte Arbeit in der Familie und im Ehrenamt beispielsweise.
Aber die Kritik geht weit tiefer. Es gibt grundsätzliche Bedenken, das Bruttoinlandsprodukt als alleinige Messgröße für den Wohlstand einer Nation zu verwenden. Nahezu legendär ist das Bruttonationalglück, an dem sich Nepal orientiert.
Geld allein macht eben nicht glücklich. Auf die ökonomische Ebene übertragen heißt das: Um den Wohlstand einer Nation zu messen, sollten außer der reinen Wirtschaftsleistung noch weitere Faktoren berücksichtigt werden. Einer, der seit Jahrzehnten für diese Ideen eintritt, ist der indische Philosoph und Ökonom Amartya Sen. Sein Name war gerade erst in den Medien, weil er in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält. Sen hat unter anderem für die Vereinten Nationen an einem Index der menschlichen Entwicklung, dem Human Development Index, mitgearbeitet. Der Sen-Index, der seinen Namen trägt, soll mathematisch den Wohlstand und dessen Verteilung erfassen. Und auch die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, griff bei ihrem Better Life Index auf Sens Arbeiten zurück: Für den Wohlstand von Menschen und Nationen ist danach nicht nur die Höhe des Bruttoinlandsprodukts entscheidend, sondern wichtig sind auch Gesundheit und Bildung, Umwelt, Sicherheit oder, ganz allgemein, Zufriedenheit.
Beim Human Development Index übrigens platziert sich Deutschland, wenig überraschend eigentlich, ziemlich weit vorn. Was ist aber mit denen, die weit unten stehen? Wie lässt sich deren Situation verbessern? Diese Frage wird durch die Corona-Pandemie noch brennender, denn viele Nationen, die in den vergangenen Jahren Fortschritte bei ihrer Entwicklung gemacht haben, werden jetzt wieder zurückgeworfen. Viele heutige Ökonomen treibt die Armut um, und wie man sie überwindet. Viele wurden für ihre Arbeit auch ausgezeichnet wie jetzt Amartya Sen. Im vergangenen Jahr erhielten Ester Duflo, Abhijit Banerjee und Michael Kremer den Wirtschaftsnobelpreis (den Sen auch schon bekommen hat), weil sie sich mit der Frage beschäftigten, was zur Armut führt und was man dagegen tun kann. Entwicklungsökonomie heißt ein Zweig der Volkswirtschaftslehre, bei dem es genau darum geht: Wie schafft man es, dass sich ein Land wirtschaftlich entwickelt, also zu Wohlstand kommt? Und das so, dass alle Menschen davon etwas haben – eine Frage der Gerechtigkeit. Der Zugang zu Bildung spielt bei den Wohlstandsfaktoren spielt eine zentrale Rolle, ebenso wie Gesundheitsversorgung auch ein zentraler Aspekt von Gerechtigkeit ist. In einer von Corona geprägten Welt haben diese Fragen nur noch mehr an Aktualität gewonnen.
Klaus Pohlmann
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