Unternehmen haben das Ausbilden keineswegs aufgegeben. Allerdings hinkt der Ausbildungsmarkt in diesem Jahr etwa zwei Monate hinterher.

 

Die Ausgangssituation vor Corona stellt sich wie folgt dar: Seit zehn Jahren gibt es im Durchschnitt jedes Jahr ein Prozent weniger Schulabgänger. Jedes dritte Ausbildungsunternehmen kann nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Erst ab 2025 sind wieder mehr Schulabgänger zu erwarten. Der Trend zu höheren Schulabschlüssen und zum Studium ist ungebrochen. Die Maßnahmen zur Berufsorientierung, wie etwa die IHK-Ausbildungsoffensive „Ihr Gewinnt“, haben im Bereich der IHK Hannover dazu geführt, dass der Marktanteil der Ausbildung in den vergangenen Jahren gegen den Trend leicht gestiegen ist.
Eine absehbare Besonderheit des Jahres 2020 liegt darin, dass wegen der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium in diesem Jahr mehr als die Hälfte der Abiturienten fehlen. In den IHK-Berufen gibt es eine Abiturientenquote von gut 36 Prozent. Die IHK Hannover hat mit einem Rückgang der neuen Ausbildungsverträge von bis zu 10 Prozent gerechnet, der sich sehr unterschiedlich auf die Ausbildungsberufe verteilen wird.

Auswirkungen werden erst nach und nach sichtbar
Die Rahmenbedingungen der Wirtschaft bilden für den Ausbildungsmarkt ein ausgesprochen schwieriges Umfeld: Lockdown ganzer Branchen, wirtschaftliche Unsicherheit auch bei internationalen Lieferketten und Liquiditätsengpässe prägen das Bild und beschäftigen Unternehmer und Manager aller Unternehmen, aller Größenklassen, aller Regionen und aller Branchen. Hinzu tritt ganz konkret die Schwierigkeit in den vom Lockdown betroffenen Branchen, Einstellungsprozesse für neue Azubis voranzubringen.
Auch in den vergangenen Jahren war vor Ende Juni eine Einschätzung des aktuellen Ausbildungsmarktes immer noch mit hohen Unsicherheiten verbunden. Zum offiziellen ersten Ausbildungsstart am 1. August waren meist weniger als 80 Prozent der Ausbildungsverträge des Jahres bei der IHK eingereicht.
In diesem Jahr verschiebt sich das Angebot an Ausbildungsplätzen aus plausiblen Gründen bei vielen Ausbildungsbetrieben quer durch alle Größen und Branchen um rund zwei Monate nach hinten. In der Konsequenz werden viele Azubis erst zum 1. September oder auch zum 1. Oktober mit ihrer Ausbildung starten. Erfahrungsgemäß werden noch bis zum Jahresende neue Ausbildungsverträge für das laufende Ausbildungsjahr abgeschlossen. Das gestaltet sich für Azubis und Unternehmen problemlos.
Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen wird in diesem Jahr auf der einen Seite wegen Fehlens der Abiturienten aus den Gymnasien um etwa zehn Prozent geringer ausfallen. Auf der anderen Seite ist schwer einzuschätzen, wie sich die Nachfrage nach vollzeitschulischen Qualifizierungen wie den Berufsfachschulen gestaltet: Auch dort wird es in den nächsten Monaten für die Berufsbildenden Schulen schwierig, kompletten Unterricht zu erteilen. Die IHK empfiehlt den Schulabgängern, lieber sofort eine duale Ausbildung zu beginnen. Mit dem IHK-Zeugnis in der Tasche sind die Aussichten in wirtschaftlich unsicheren Zeiten besser.
Insgesamt ergibt sich dieses Bild: Die derzeitigen Frühindikatoren zeigen zwar ein deutliches Minus, signalisieren aber ebenso klar, dass die Unternehmen keinesfalls das Ausbilden wegen Corona aufgegeben haben. Die Demografie mit abnehmenden Schulabschlussjahrgängen und Babyboomern, die dem Ruhestand entgegengehen, wird durch Corona nicht verändert. Das wissen alle Beteiligten.
Der Ausbildungsmarkt hinkt zeitlich in diesem Jahr rund zwei Monate hinterher. Am Ende ist zwar mit einem Minus in aktuellen Zahlen zu rechnen, aber es gibt eine gute Chance, dass es nicht gravierend ausfällt.

Digitalisierungsschub in verschiedener Hinsicht
Möglicherweise entwickeln sich aber auch – beginnend vielleicht schon in diesem Jahr – positive und erwünschte strukturelle Änderungen bei Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage. Digitalisierung ist zum Beispiel durch die blanke Notwendigkeit des Arbeitens im Home Office, durch Online-Reservierungen in der Gastronomie, durch den Boom des Online-Handels in der Priorität nach vorn gerutscht. IT-Berufe, Logistikberufe und neue bzw. novellierte Berufe wie Kaufmann/-frau im E-Commerce werden deutlich attraktiver – für Ausbildungsplatzanbieter wie auch für Schulabsolventen.
Zum Schluss, aber nicht zu vernachlässigen, ist ein absehbarer ebenfalls nachhaltig positiver Effekt von Corona: Die neuen Azubis haben sich – anders als alle ihre Vorgänger – mit digitalen Lernformaten auseinandersetzen müssen. Eine ganze Nation – Lehrer und Schüler – wurde diesbezüglich ins kalte Wasser geworfen. Es gab keine Vorbereitung, keine Ausbildung, keine Schulung, keine Perfektion. Vieles hakt noch hier und dort, aber zwei Effekte bleiben: erstens eine Digitalkompetenz, die es vorher so nicht gab und die auch in den Unternehmen weiter benötigt und ausgebaut werden wird. Zweitens – und nicht weniger wichtig – verzeichnen wir eine neue Offenheit für das Ausprobieren, das Tüfteln, eine Fehlertoleranz beim Umgang mit dem (noch) nicht Perfekten. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind dies die Kompetenzen, die Apple, Google und die führenden IT-Unternehmen groß gemacht haben – und die bei uns in Deutschland weniger ausgeprägt waren. Wer hätte das gedacht?

 


 

DIHK stellt 10-Punkte-Programm vor

Viele der mehr als 400 000 Ausbildungsbetriebe hierzulande befinden sich wegen der Corona-Pandemie in einer überaus schwierigen Lage. Dennoch müsse alles getan werden, um die Ausbildung dringend benötigter Fachkräfte sicherzustellen, mahnte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Anfang Mai. Denn wenn die Krise überwunden ist, sind nicht nur die Betriebe mehr denn je auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Auch Schulabgänger und Azubis brauchen verlässliche Perspektiven. Damit das gelingt, haben DIHK und IHKs Vorschläge für einen 10-Punkte-Plan erarbeitet. Ganz besonders wichtig dabei: die Kündigung von Ausbildungsverhältnissen zu vermeiden.

1. Alle Mittel in Betrieben ausschöpfen
2. Virtuelle Lernangebote nutzen und ausbauen
3. Insolvenz-Azubis vermitteln – aufnehmende Betriebe unterstützen
4. Kurzarbeitergeld für Azubis einführen
5. Ausbildungsprüfungen nachholen
6. Gezielt beraten und vermitteln
7. Zusätzliche Ausbildungsplätze durch Bonus fördern
8. Betriebliche Einstiegsqualifizierungen verstärkt nutzen
9. Vorübergehend außerbetriebliche Ausbildung ermöglichen
10. Alternativen im gemeinnützigen Bereich ausbauen

Die Erläuterungen zu den einzelnen Punkten stehen auf der DIHK-Website.

 


 

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Prof. Dr. Günter Hirth

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