Von März bis November tourt der Zirkus Charles Knie mit seinen Tieren, Clowns und Artisten durch Deutschland. Zuhause ist der Großzirkus in Volksen vor den Toren Einbecks. Eine Reportage aus dem Winterquartier kurz vor dem Start der Saison.
Einmal. „Achmed, Sultan, Simbaaa“. Nochmal. Beim dritten Mal geht der Trainer einen Schritt auf die Tiere zu. Nun stecken die drei Kamele schließlich ihre Köpfe durch die Fensteröffnungen des Stalls. Ein schönes Bild. Marek Jama ist zufrieden. Niemand kennt die drei Exoten besser als der 44-jährige Pole, der beim Zirkus Charles Knie für die Tierdarbietungen verantwortlich ist. Er gehört zum harten Kern des Zirkus, der im vergangenen Jahr in 47 deutschen Städten gastierte und mit rund 300 000 Besuchern zu den Großen in der Branche gehört.
Auf einem weitläufigen Gelände in Volksen bei Einbeck hat der Zirkus Charles Knie seinen Sitz, der zugleich das Winterquartier ist. Ein hübsch renoviertes Fachwerkhaus eines alten Gutshofs aus dem Jahr 1870 dient heute als Büro für den Zirkusbetrieb, dessen Gründer Charles Knie übrigens tatsächlich über ein paar Ecken der berühmten schweizerischen Zirkusfamilie Knie entstammt. Gleich nebenan befinden sich die Ställe der Tiere und die Weiden, Fahrzeughallen und ein großer Hof, auf dem zwei moderne, riesige Wohnwagen stehen. Die US-amerikanischen Fabrikate erinnern aufgrund ihrer Ausmaße mehr an LKW-Anhänger als an einen klassischen Wohnwagen. Obwohl ihre elektrischen Bremsen für den hiesigen Markt umgerüstet werden mussten, sollen sie immer noch günstiger als die meisten von europäischen Marken sein.
Es ist eine Mischung aus Knurren und Bellen zweier nicht mal kniehoher Vierbeiner, mit denen Besucher beim Betreten des Büros des Zirkusdirektors Sascha Melnjak begrüßt werden. Teddy, ein Jack Russell und der Mops Lilly klackern mit ihren Pfoten und Krallen über das Laminat, bis sie es sich einen Moment später wieder in ihren Stoffkörbchen bequem machen. Im Besprechungsraum nebenan steht in einer Vitrine eine silberne Clown-Statue neben bunten Schals, auf denen „Monte Carlo“ zu lesen ist. Dutzende Hochglanz-Programmhefte dekorieren die gegenüberliegende Wand.
Abi, Lehre, Zirkuskauf
Aus einer Zirkusfamilie stammt Melnjak nicht. Aber schon als Kind träumte der heute 45-Jährige davon, einmal in einem Zirkus zu arbeiten. Nach Abitur, Zivildienst und einer Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann („Das kann nie schaden.“) übernahm er 1997 in einem kleinen Zirkus die Tourneeplanung und alle weiteren Tätigkeiten abseits der Manege. 1999 organisierte er mit 24 Jahren erstmals den Heilbronner Weihnachtscircus. „Ein Riesenerfolg. Ich hatte ein kleines Zelt mit 800 Plätzen gemietet, das ständig voll war“. Über die Zeit wuchs der Erfolg und der gebürtige Stuttgarter machte sich einen Namen in der Branche. Als er im Jahr 2006 erfuhr, dass die Familie Knie ihren Zirkus verkaufen wollte, nahm er sofort Kontakt auf. Und ein Jahr später ging es unter seiner Regie weiter, während sich Charles Knie seinen Traum erfüllte und in Australien einen Tierpark eröffnete.
Hinter dem dunklen Metallzaun, den die Initialen des Gründers „CK“ zieren, sind an diesem Tag auf der Landstraße Richtung Einbeck nur wenige Autos unterwegs. Auf der anderen Seite des rund 50 000 Quadratmeter großen Geländes zieht gerade eine Lok eine lange Schlange bunter Container hinter sich her. Auf der Weide dazwischen grasen fünf Zebras und einige Rinder mit riesigen Geweihen. Hinter ihnen wackeln die Höcker der umhergehenden Kamele.
Perfektes Gelände
„Das weiträumige Gelände, mit den Ställen und Hallen ist für uns als Zirkus einfach perfekt. Und es liegt auch noch gut, praktisch in der Mitte Deutschlands“, erklärt Melnjak. Vor bald acht Jahren kaufte er es von Rebecca Simoneit-Barum. Es war über Jahrzehnte die Heimat des Zirkus Barum, der Ende des Jahres 2008 aus dem Zirkusgeschäft ausschied. Vergleichbare Areale gibt es in Deutschland nicht, und wenn doch, dann ist meist nicht alles erlaubt, weil entweder die gewerbliche oder die landwirtschaftliche Nutzung beschränkt ist. Das weiße Fachwerkhaus, in dem sich das Büro und die Wohnung des Direktors befinden, ist bereits von Grund auf saniert worden. Das übrige Areal ist noch gut in Schuss. Aber: „Wir sind ständig irgendwo dabei, etwas zu verbessern“, sagt Melnjak.
Die große Holztür zu einem der Gebäude knarzt nicht. Aber es riecht nach Stall. Nachdem es am Morgen geregnet hat, strahlt nun die Sonne durch die Fenster auf den hellgrauen Betonboden. In einer Ecke liegen sorgsam aufgestapelte Zirkus-Plakate unter einer Staubschicht. Neben den roten gusseisernen Säulen sollen früher einmal Elefanten gestanden haben. In diesem Moment wenden sich die Köpfe einiger Tiere einem zu, die an Kühe erinnern, aber auch übergroße Geweihe tragen. Sie wirken mächtig und niedlich zugleich, wie sie einen anschauen. „Es sind ungarische Steppenrinder, große schottische Hochlandrinder, Watussi, Wasserbüffel und ein Yak“, zählt der Zirkusdirektor auf.
Rinder, Zebras, Strauße, Lamas, zwei Kängurus, Kamele und Pferde gehören dem Zirkus. Anders als ein anderer großer bekannter Mitbewerber aus der Branche möchte sich der Einbecker Zirkus nicht von den Tierdarbietungen verabschieden. Die Vorführungen in der Manege gehörten genauso zu einem guten Zirkusprogramm dazu wie lustige Darbietungen, beeindruckende Akrobatik und Spannung, findet Melnjak. Daran haben auch die vielen Diskussionen und Auseinandersetzungen, die er seit etwa zehn Jahren immer häufiger mit Tierrechtsaktivisten führen muss, nichts geändert. Der Zirkusdirektor ist davon überzeugt, dass es den Tieren in seinem Zirkus gut geht. Wissenschaftliche Studien hätten sogar belegt, dass die Transporte bei den Tieren keinen erhöhten Stress auslösten. „Wir werden in jeder Stadt, in der wir Station machen, vom Veterinäramt überprüft“, sagt er. Die Menschen, die vor seinem Zirkus gegen die Tierauftritte demonstrieren, lädt er immer ein, sich einmal hinter den Kulissen umzuschauen. „Wir haben nichts zu verbergen.“ Die vielerorts inzwischen beschlossenen Wildtierverbote setzen dem Zirkus allerdings zu. „Letztlich bedrohen sie uns auch in unserer Existenz. Wir klagen deswegen gegen die Auftrittsverbote und haben bisher immer recht bekommen.“ Denn die Kommunen seien rechtlich gar nicht befugt, ein solches Verbot auszusprechen, da dies Bundesrecht sei. In dieser Auffassung habe ihn auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner bestätigt, die er vor einiger Zeit mit dem Chef des Circus Krone getroffen hat.
Fachkräfte fehlen auch im Zirkus
In einer der Hallen auf dem Gelände hat sich Tiertrainer Marek Jama am Nachmittag in den Sattel geschwungen. Neben einem LKW und einem langen Zirkusbüro-Anhänger ist eine runde Sandfläche ausgebracht, die von roten Kästen und einem halbhohen Metallgitter umrahmt wird. Der Pole, der vor drei Jahren beim Zirkusfestival in Monte Carlo für eine Tierdressur die höchste Auszeichnung erhielt, nutzt die Peitsche nur als Zeichen für die fünf weißen Pferde, mit denen er gerade eine Vorführung einstudiert. Drei Männer in dünnen Jacken, weiten Jeans oder Jogginghosen beobachten vom Eingang der Übungsmanege, wie die Pferde gerade auf den Hinterbeinen stehen. Hin und wieder stecken sie unter ihren bunten Mützen die Köpfe zusammen.
Gute Mitarbeiter zu finden, wird auch für Sascha Melnjak immer schwieriger. Von sechs Albanern, die gern mit dem Zirkus als Aufbauhelfer mitgereist wären, seien inzwischen nur noch drei übrig. „Sie mussten über ein Jahr auf einen Termin bei der deutschen Botschaft in ihrer Heimat warten“, ärgert sich Melnjak. Für solche Tätigkeiten finde er schon seit Jahren hierzulande niemanden mehr. Auch generell seien Deutsche unter den rund 90 Beschäftigten des Zirkus in der Saison die Ausnahme, erklärt der gebürtige Stuttgarter mit deutsch-kroatischen Wurzeln.
Sein Handy hat der 45-Jährige in dieser Phase kurz vor der Anfang März beginnenden Saison stets im Blick. Ständig blinken neue E-Mails auf: Gastspielorte melden sich, genauso wie die südamerikanische Ballettgruppe, die wegen der letzten Visa-Formalitäten nachfragt. Und dann wird auch noch nebenbei nach einem passenden Zirkuswagen für die siebenköpfige Truppe gesucht.
Ganz wichtig ist für den Zirkus Charles Knie eine gute Tourneeplanung. Vieles muss dabei zusammenpassen: Die Distanzen zwischen zwei Spielorten dürfen nicht zu weit auseinander liegen, gleichzeitig müssen die Plätze frei sein, die viele Städte heute intensiver nutzen. Sascha Melnjak ist froh, dass er einen Mitarbeiter im Team hat, der dennoch immer eine gute Zusammenstellung der Spielorte hinbekommt. „Es gibt Riesenunterschiede zwischen den Städten.“ Sie seien so extrem, dass man um manche Stadt inzwischen lieber einen Bogen mache. Andere seien dagegen so attraktiv, dass man selbst die höchsten Standmieten akzeptiert. Ärgerlich sei, dass einige Städte in den vergangenen Jahren ihre Festplätze bebaut hätten, wie Stade zum Beispiel.
Am Nachmittag vor dem Raubtiergehege. Es sieht aus, als würde Alexander Lacey mit dem auf zwei Beinen stehenden Löwen die Hand einschlagen, während er ihm ein aufgespießtes Stück Fleisch vor das Maul hält. „Good boy, good boy“, ruft er laut dem Raubtier entgegen, das sich kurz abwendet. Alltag für den Briten, dessen Eltern bereits in Nottingham Löwen und Tiger züchteten. „Einer der MGM-Löwen, der kam von ihnen“, sagt Lacey, der mit seiner Raubtiershow eines der Highlights im Programm des Zirkus Charles Knie ist.
Vergangenes Jahr war der Zirkus vor allem in Süddeutschland unterwegs, in diesem Jahr geht es nach dem Auftakt in Northeim nach Hannover, Braunschweig und über Hamburg-Bergedorf weiter nach Celle und Seesen. „Die etwas kleineren Städte liegen uns meist besser“, sagt Melnjak. Dort sei es noch etwas Besonderes, wenn ein Zirkus in die Stadt komme. Besonders sind auch die „Heimspiele“ in Einbeck oder Northeim: „Die Menschen sprechen von unserem Zirkus“, sagt Melnjak stolz.
Erholung in Einbeck
Die Zeit im Winterquartier ist für den Zirkusdirektor und sein festes Team ganz wichtig. Während der Saison gibt es kein Wochenende. Samstags und sonntags sind die wichtigsten Auftrittstage. Ausschlafen und freie Zeit sowie die Ruhe im Leinebergland sind daher eine sehr willkommene Abwechslung zum Trubel im Zirkusalltag und dem Leben im Wohnwagen. Wenn die Saison startet, fällt der Umstieg aber jedes Mal schwer. „Man muss dieses Zirkusleben lieben“, sagt Sascha Melnjak. Er tut es und er glaubt auch daran, dass es eine Zukunft für den Zirkus gibt. Als er in das Geschäft einstieg, gab es noch acht große Zirkusse in Deutschland. Sarasani, Althoff und Barum sind Geschichte, heute gibt es nur noch den Circus Krone, der ähnlich aufgestellt ist.
„Die Zeiten sind nicht leicht. Aber wir stemmen uns mit aller Macht dagegen“. Und das erfolgreich, wie der Zirkusdirektor und Geschäftsführer erklärt. Gerade 2019 sei ein überaus gutes Jahr gewesen, wenn nicht sogar das Beste.
„Der Zirkus ist ein bisschen wie ein rollendes Museum“, sagt Melnjak. Für die junge Generation sei das wie ein Besuch in alten Zeiten. Dieses Gefühl und ein modernes, spannendes Programm sind für ihn entscheidend. „Man darf nicht stehen bleiben. Man muss ständig etwas verändern und sich weiterentwickeln“. Auch die Qualität muss stimmen. Deswegen lässt der Direktor keine Gelegenheit aus, um sich andere Zirkusse in Europa anzuschauen. Wenn er im Winter die neue Show plant, schaut er abends dutzende Videos, die ihm Künstler zusenden. „Acht von zehn scheiden aus.“
Die richtige Mischung zwischen Tradition und Moderne zu finden, ist die Herausforderung für jeden Zirkus heutzutage. Es scheint dem Direktor zu gelingen. Vielleicht fällt ihm das aber auch leichter, weil er nicht aus einer typischen Zirkusfamilie stammt.