Dass Ethik im Unternehmen kein abstraktes Thema sein muss, sondern gerade heute hohe Relevanz hat, zeigte eine von der Kurt-Alten-Stiftung organisierte Diskussion in Hannover.
Es dauerte etwas, bis die Diskussion auf Tempo kam. Aber dann war es Frank Maier, der endgültig ins Herz der Dinge vorstieß. Der Innovationsvorstand der Aerzener Lenze SE wurde rigoros: Wenn sein Unternehmen auf bestimmten Märkten nicht konkurrenzfähig sein könne, ohne die eigenen Wertvorstellungen zu verletzen, werde man dort nicht aktiv – „dann machen wir es nicht“, sagte Maier. Und das sei keine Frage der Rendite.
Maier saß bei einer Diskussionsrunde der Kurt-Alten-Stiftung Mitte November in Hannover auf dem Podium. Zuvor hatte bereits Hiltrud Werner, im VW-Konzernvorstand zuständig für Integrität und Recht, ebenso wie Staatssekretärin Dr. Sabine Johannsen aus dem niedersächsischen Wissenschaftsministerium auf die Risiken moralischen Fehlverhaltens hingewiesen. Im Raum stand die Frage, was Ethik Unternehmen kostet. Hilturd Werner drehte diese Frage kurzerhand um: Sie könne ziemlich genau sagen, wie viel es koste, wenn man sich nicht richtig verhalte, sagte die Ethik-Vorständin von VW, und machte deutlich, dass in letzter Konsequenz die Existenz eines Unternehmen bedroht sei: Schon in ihrem einleitenden Statement fiel der Satz, dass der Konzern einen zweiten Skandal nicht überstehen würde. Sabine Johannsen, die vor ihrer Zeit im Ministerium bei der Nord/LB und im Vorstand der NBank arbeitete, pflichtete bei: Fehlverhalten könne schlicht die Rendite kosten. Keine Alternative also zu moralisch richtigem Handeln. Was auch die Frage beantwortet, ob ein Unternehmen wie VW ein Vorstandsressort wie das von Hiltrud Werner braucht. Denn Mitarbeiter und Unternehmen, und das betrifft nicht nur Volkswagen, fühlen sich schnell in eine Ecke gedrängt. Und in die sie grundsätzlich auch nicht gehören: Lenze-Vorstand Maier haderte mit der Wahrnehmung der Wirtschaft in Deutschland, sieht eine mangelnde Wertschätzung gegenüber der Wertschöpfung. Betroffen sei nicht nur die Industrie, ergänzte Sabine Johannsen, sondern ebenso Banken, IT-Konzerne oder auch die Wissenschaft. Gerade in angelsächsischen Ländern sei das anders, sagte Maier und als Schwabe streifte er kurz den Calvinismus, in dem wirtschaftlicher Erfolg als Nähe zu Gott gesehen werde. Aber vor allem betonte er, dass moralisches Handeln in Unternehmen ja kein neues Thema sei. Die Diskussion fängt eben nicht bei Null an, sagte der Lenze-Vorstand bezogen auf den Titel der Veranstaltung: Von Null auf Ethik. Er bestätigte auch, dass gerade in Famili-enunternehmen – und so versteht sich der international tätige Maschinenbau-Zulieferer nach wie vor – die familiär geprägten Gesellschafter, Gründer oder Eigentümer als moralische Instanz gesehen werden.
Allerdings: „Ein Manager ist auch ein Mensch“, sagte Maier – wobei diese Feststellung natürlich für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt – und bringt ein individuelles Wertegerüst ein. Mal mehr Moral, mal weniger, könnte man etwas lax formulieren. Für Hiltrud Werner ergibt sich daraus eine Aufgabe bei Auswahl und Beförderung von Führungskräften: Nämlich so auszuwählen, dass die ethische Orientierung auf jeder Führungsebene steigt.
Spätestens damit ist man bei der Frage, wie sich Moral im Unternehmen konkret verankern lässt. Die Stärke der von der Kurt-Alten-Stiftung organisierten Debatte machte aus, wie umfassend diese Themen angesprochen wurden. Hiltrud Werner sprach von einem stabilen Wertegerüst, das im Unternehmen etabliert werden und in einem Unternehmen wie VW global ausgerichtet sein müsse. Compliance funktioniert nur dann, sagte Werner, wenn sie in den Alltag integriert sind, wenn man den Job nicht machen kann, ohne diese Vorgaben zu berücksichtigen. Was Sabine Johannsen komplett unterschrieb: Compliance dürfe nicht ein bloßes Abarbeiten von Vorschriften sein – „das darf nicht nerven“, sagte sie. Sondern es müsse klar sein, dass die Einhaltung dieser Vorgaben dem Unternehmen dient.
Eine neue Fehlerkultur
Bei VW, erklärte Hiltrud Werner, seine Compliance-Aspekte bereits früh in die Produktentwicklung integriert. Außerdem gehören beispielsweise regelmäßige Schulungen zu diesen Themen ebenso zum Instrumentarium des Autokonzerns ebenso wie das Hinterfragen der Lieferantenkette. Wobei Frank Maier die Frage aufwarf, ob es überhaupt möglich sei, bei allem Bemühen die Lieferkette „bis ins letzte Glied zu kontrollieren.“ Er betonte Aspekte der Organisationsethik und forderte zum Beispiel eine andere Fehlerkultur in Unternehmen, und das in zweierlei Hinsicht. Keine Fehler machen heißt auch, sich früh Hilfe zu suchen, also offen sagen zu können: „Ich schaffe das nicht.“ Zweiter Aspekt des Umgangs mit Fehlern: Wenn sie passiert sind, müssen die Information darüber auch so bald wie möglich bei denen landen, die für eine Reaktion zuständig sind. Bad news must travel fast, sagte Hiltrud Werner: Es ist entscheidend, dass gerade schlechte Nachrichten schnell unterwegs sind.
Bei aller Verankerung von Ethik und Compliance in Abläufen und Strukturen: Das Thema muss in die Köpfe. Das hatte bereits Professor Dr. Ulrich von Jeinsen, Vorsitzender des Kuratoriums der Kurt-Alten-Stiftung, in den Raum gestellt, fokussiert in einem kleinen Satz: „Das tut man nicht.“ Diese Vorstellung nannte er „Compliance von unten.“ Auch Dr. Michael Pickel, Vorstandschef der hannoverschen E+S Rückversicherung AG, macht aufmerksame Menschen im Unternehmen, die wissen, was nicht geht – zum Beispiel Geldwäsche, Steuer- oder Sanktionsarbitrage – und persönliche Integrität als wesentliche Faktoren aus. Wie man das erreicht? Indem man richtiges Verhalten vorlebt, zum Beispiel, sagte Pickel und betonte die Vorbildfunktion von Führungskräften. Und legte besonderen Wert auf Notwendigkeit, bei Verstößen konsequent durchzugreifen und sie zu ahnden.
Nachhaltigkeit immer ein Thema
Compliance von unten, die Vorstellung von dem, was man einfach nicht tut, ist umso wichtiger, als Ethik im Unternehmensalltag kein Schwarzweiß-Thema ist: Im Verlauf der Diskussion wurde auch das Dilemma angesprochen zwischen notwendiger Rendite und Investitionen in umstrittene Branchen, wenn es um die Anlage von Rücklagen für die betriebliche Altersversorgung geht. Diese Frage blieb offen: Kein einfacher Ausweg aus diesem Dilemma. Wenige Tage nach der Diskussion wurde VW-Chef Herbert Diess in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Hinweis zitiert, ethisches Handeln sei nicht synonym mit einfachen Antworten.
E+S-Vorstandschef Pickel schließlich wies auf den Generationenwandel hin, der auch zum Thema Nachhaltigkeit überleitete. Denn dieser Aspekt, Nachhaltigkeit, kann in einer Diskussion über unternehmerische Ethik heute kaum fehlen. Hiltrud Werner hatte bereits den Kunstbegriff „Enkelfestigkeit“ eingebracht, der für die dauerhafte Sicherung der Chancen nachfolgender Generation steht. Nachhaltigkeit kommt verstärkt mit jungen Menschen ins Unternehmen, sagte Pickel und verwies auf die Diskussion um die Versicherung von Kohlekraftkraftwerken: Soll man, oder soll man nicht? Das Thema habe auch international vermittelt werden müssen, wo Vorbehalte gegen die Kohle keineswegs überall verstanden werden.
Auch Lenze-Vorstand Frank Maier betonte, dass jede Generation ein etwas anderes Wertegerüst und etwas andere Wertvorstellungen habe. Und forderte im gleichen Atemzug, sich auf die Jüngeren einzulassen. Damit ist man dann schnell bei großen Trends unternehmerischer Ethik: Hiltrud Werner wies auf den Business Round Table in den USA hin, dessen rund 200 Mitglieder, allesamt Top-Unternehmer, in diesem Sommer weltweit beachtet sich gegen bloße Profitorientierung und für, kurz gesagt, mehr Nachhaltigkeit mit Blick auf Beschäfte, Umwelt, Kunden und Lieferanten ausgesprochen haben. Und VW war bereits 2018 Gastgeber des Global Social Business Summit, wo unter anderem nachhaltiges Wirtschaften oder soziale Unternehmenskonzepte, die ihr Tun an dringenden Problemen der Menschheit orientieren, diskutiert wurden.
Unternehmensethik ist also keineswegs ein Thema, das bei Null beginnt. Nach dem Diskussionsverlauf könnte sogar die Idee einer weiteren Parallele zwischen erster und der vierter industriellen Revolution haben: Den Umwälzungen, die durch die Dampfmaschine ausgelöst wurde, folgte eine umfassende sozialethische Debatte, in deren Folge in Deutschland nicht nur Sozialismus und Sozialgesetzgebung entstanden, sondern auch Unternehmensformen wie die Genossenschaft oder akademische Richtung der Sozialethik. Mag sein, dass die von der Digitalisierung getriebene vierte industrielle Revolution ihre eigeneDiskussion entwickelt, in deren Mittelpunkt vordergründig nicht eine soziale Frage steht. Sondern Nachhaltigkeit.
Die Kurt-Alten-Stiftung, von der die Diskussion in Hannover organisiert wurde, hat sich der Förderung von hochqualifizierten Nachwuchskräften verschrieben: Ganz bewusst wird der Begriff Elite-Förderung verwendet. Bei Veranstaltungen wie der im November kommen Stipendiaten der Stiftung mit Unternehmensvertretern zusammen – eine Form der Förderung junger Menschen. Die Stiftung geht zurück auf den Maschinenbau-Unternehmer Kurt Alten. Mitglieder des ehrenamtlichen Kuratoriums sind Rechtsanwalt Professor Dr. Ulrich von Jeinsen, Sabine Alten, Volksbank-Vorstand Matthias Battefeld und Maschinenbau-Professor Dr. Ulrich Denkena.