Kaum ein anderes Thema bewegt die deutsch-irischen (Handels-)Beziehungen wie der Brexit, der mittlerweile unausweichlich zu sein scheint. Es gibt verschiedene Spekulationen darüber, wie er aussehen kann. Verkehrt ist es jedoch nicht, sich auf das schlimmstmögliche Szenario einzustellen: ein unorganisierter Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ohne ein mögliches Wirtschaftsabkommen mit den ehemaligen Partnern.
Die Unsicherheiten und Herausforderungen, mit denen der Brexit einhergeht – wie der Einbruch der Handelsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland – durch neu erhobene Zölle und bürokratische Hemmnisse, ergeben aber auch eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten, vor allem für die deutsch-irischen Beziehungen. Irland ist sehr abhängig vom Vereinigten Königreich, und ein No-Deal Brexit könnte nach Schätzung der irischen Zentralbank zum Verlust von über 73 000 Arbeitsplätzen führen. Auch die politische Stabilität ist angesichts eines Brexits bedroht, vor allem in Hinblick auf die Beziehungen zu Nordirland. Zum anderen weist Irland eine sehr hohe Abhängigkeit von Importen auf, was deutschen Unternehmen noch unausgeschöpfte Chancen bietet. Irische Unternehmen haben große Sorgen hinsichtlich der zusätzlichen bürokratischen und zeitlichen Kosten beim Grenzübergang zu Nordirland im Falle eines unorganisierten Brexits. Heute ist es Normalität, dass Menschen und Güter die Grenze passieren, um zur Arbeit zu fahren, Familie und Freunde zu besuchen oder um einzukaufen.
Eine Wiedervereinigung von Nordirland und der Republik Irland wäre zwar eine Möglichkeit, die möglichen Grenz- und Zollkontrollen zu umgehen, jedoch würde es sich ökonomisch nicht rentieren. Die Wirtschaft Nordirlands ist im Vergleich zum Rest des Vereinigten Königreichs und der Republik Irland relativ schwach. Zurzeit erhält Nordirland Transferleistungen in Höhe von 20 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts aus London – der Brexit könnte dies gefährden. Aus wirtschaftlicher Sicht wäre der Wohlstandsunterschied auf der irischen Insel sehr hoch und es würde zu einem Einbruch des Lebensstandards und des Bruttoinlandsprodukts der Republik Irland führen.
Eine kürzlich durchgeführte Umfrage des Ministeriums für Wirtschaft, Unternehmen und Innovation (DBEI) zeigt, dass 72 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen schon bei einem „geordneten Brexit“ einige oder sogar massive Auswirkungen spüren werden – im Falle eines „No-Deal-Brexit“ steigt diese Zahl auf 85 Prozent. Den Umfragen des AIB Brexit Sentiment Index zufolge sind über 75 Prozent der irischen Unternehmen besorgt über ihre Zukunft und sogar 86 Prozent erwarten negative Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft des Landes.
Aus dieser Situation und Herausforderung heraus können sich jedoch neue, unentdeckte Chancen ergeben. Deutsche Exporteure, die jetzt noch mit dem Vereinigten Königreich handeln, können in Irland einen neuen potenziellen Absatzmarkt finden. Die exportorientierte Wirtschaft Irlands zählt zu den am schnellsten wachsenden innerhalb der EU. Die Europäische Kommission geht in Ihren Schätzungen von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von etwa 3,5 Prozent aus, trotz Brexit und weiteren weltweiten Handelskonflikten. Des Weiteren weist Irland einen kontinuierlichen Bevölkerungsanstieg auf. Es wird prognostiziert, dass die Bevölkerung Irlands innerhalb der nächsten Dekade um 8,1 Prozent wachsen wird. Das liegt vor allem an den hohen Geburtenraten und am Zuzug von gut ausgebildeten Fachkräften in den Wachstumsbranchen.
Gemeinsam mit einem überdurchschnittlichen BIP pro Kopf von 66 670 Euro und einem hohen Preisniveau, das knapp 30 Prozent über dem EU-Durchschnitt liegt, stellt Irland attraktive Bedingungen für deutsche Exporteure bereit, die sich nach einem neuen Markt umschauen. Die Deutsch-Irische Handelskammer hat eine Untersuchung gestartet und den Ökonomieprofessor Edgar Morgenroth (Dublin City University) beauftragt, in einer Studie zu untersuchen, welche britischen Exportgüter in Irland von deutschen Waren substituiert werden können. Er ging von der Annahme aus, dass Zölle in Höhe des Meistbegünstigungsprinzips der Welthandelsorganisation (WHO) für britische Waren erhoben werden und hat analysiert, welche Güter trotz höherer Transportkosten und längerer Transportwege zwischen Irland und Deutschland, günstiger aus Deutschland zu beziehen wären. Es hat sich herausgestellt, dass 61 Prozent der Güter aus Deutschland günstiger wären als ihr britisches Äquivalent.
Wenn Zölle in Folge des Brexits erhoben werden, so wäre eine Konsequenz auch, dass sich die Transportwege zeitlich verlängern und verteuern. Der beliebteste Lieferweg von Kontinentaleuropa nach Irland erfolgt nach wie vor über den Eurotunnel nach Großbritannien, um genauer zu sein, bis nach Liverpool und Holyhead und von da aus weiter nach Irland. Im Falle eines Brexits würde es bedeuten, dass im deutsch-irischen Handel Güter stets nicht-europäisches Gebiet passieren müssten – und somit mehrere Kontrollen.
Eine alternative Route, die sich einer immer höheren Beliebtheit erfreut, ist der Weg von Deutschland nach Rotterdam, Antwerpen oder Zeebrugge über das Meer direkt nach Dublin oder Cork. Das dauert zwar doppelt so lange, jedoch umgeht man die zeitintensiven und nicht kalkulierbaren Zoll und Grenzkontrollen des Vereinigten Königreichs. Zudem kann man ein höheres Volumen an Waren gleichzeitig transportieren und erspart sich die relativ hohen Kosten für LKW-Fahrer.
Es ist vorauszusehen, dass ein Brexit mit möglichen Zöllen die Wirtschaftsleistung des Vereinigten Königreichs als auch der EU beeinflussen wird. Sowohl Irland als auch Deutschland stehen dabei vor großen Herausforderungen, jedoch auch vor neuen und noch unentdeckten Möglichkeiten. Der irische Markt bietet dabei deutschen Exporteuren eine interessante und attraktive Alternative, da viele Güter, die Irland aus dem Vereinigten Königreich bezieht, sich verteuern und Importeure sich nach Alternativen umschauen werden. Dies bietet deutschen Unternehmen eine Möglichkeit, von einem neu entstandenen Preisvorteil zu profitieren und neue Transportwege ohne bürokratische und zeitliche Hindernisse zu entdecken.