Kapitel 4: Industrie
Der Hundertjährige, der auf die Digitalisierung der Industrie zurückblickt: Dr. Malte Stonis, Geschäftsführer am Institut für Integrierte Produktion in Hannover, verfiel so auf das Jahr 2079: Dann nämlich würde er dieses Alter erreichen, und außerdem: Ungerade Zahlen sorgen für mehr Aufmerksamkeit. Aber wird es in 60 Jahren überhaupt noch eine Industrie geben? Die Techtide bot ganz verschiedene Aspekte, um diese Frage zu beantworten. Frank Maier vom Antriebs- und Automatisierungspezialisten Lenze sieht sich auf sicherem Boden, solange etwas bewegt werden muss: Sein Unternehmen werde die vierte und auch eine fünfte industrielle Revolution überstehen.
Aber was muss bewegt werden? Malte Stonis zitierte eine Studie der ING-Bank: In einem noch halbwegs überschaubaren Zeitraum – und bis 2079 wird das nicht dauern – kommt danach die Hälfte der Produkte aus einem Drucker. Damit verbunden sei ein Rückgang des Welthandels um 25 Prozent. Die Veränderung lässt sich gut, wie Stonis es tat, über den Wikipedia-Eintrag erklären: Der sieht Industrie heute als Massenproduktion annähernd homogener Güter, hergestellt mit standardisierten Verfahren: Automatisierung, Arbeitsteilung, Mechanisierung. Was den Unternehmensberater Stephan Theis zu dieser Feststellung veranlasste: „Industrie wird es geben. Aber der Wikipedia-Eintrag wird sich ändern.“
Von 2079 zurückblickend wird dann vielleicht tatsächlich die Entwicklung des 3D-Druck eine zentrale Rolle spielen. Das jedenfalls war der Aspekt, der bei der Techtide im Mittelpunkt stand. Alle Materialien, alle Branchen können erfasst werden. The Sky’s the limit, der Himmel ist die Grenze? Nicht doch: Sogar die Vision von 3D-Druckern, die mit Lasern Mondstaub direkt vor Ort zu festen Strukturen verarbeiten, wurde auf der Techtide präsentiert. Dabei muss man im Kopf behalten, dass die Industrie-Session von Technikern getragen wurde. Und die stellten zwar das Jahr 2079 in den Raum, rätselten aber nicht, wie weit man dann sein könnte. Sondern beschrieben eher, was jetzt gerade an Anwendungen entsteht. Daraus lässt sich dann ein Bild zusammensetzen.
Und dazu gehört, dass Malte Stonis zwar davon sprach, dass es nicht alle Industrieproduktion über den Drucker geht: „Nicht alles wird wegbrechen“, sagte er. Großprojekte, Bauwerke? Dr. Stephan Kaierle vom Laserzentrum Hannover zeigte dann aber in der nächsten Facette des Zukunfts-Kaleidoskops, wie in den Niederlanden bereits ganze Brücken gedruckt werden – sogar vor Ort, direkt über einen Fluss, gebaut von Robotern. Und das erste weitestgehend 3D-gedruckte Auto, elektrisch angetrieben und autonom, wurde auch schon vorgestellt – zum Beispiel bei der Formnext, einer Messe für additive Fertigungsverfahren in Frankfurt.
Für die Industrie öffnen sich durch den 3D-Druck neue Freiheiten – auch in der Gestaltung. Freedom of Design heißt ein Schlagwort. Zum Beispiel werden neue, bionische Strukturen möglich. Und selbst Nahrungsmittel oder sogar Organe könnten gedruckt werden: Bis dahin reichen die Facetten einer Industrie der Zukunft. Ein Kaleidoskop kann auch schwindlig machen..[/vc_column_text]