Jeder gegen jeden? Es geht auch zusammen, und viele können mehr als einer: Fast parallel kamen im 19. Jahrhundert Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Raiffeisen auf die Idee einer Genossenschaft. Kooperation und Zusammenarbeit gibt es aber auch noch in anderer Form.
ZIEMLICH übel. Ein Bauernhof im Sommer, auf dem zwei, drei Tage lang die Milch nicht abgeholt wurde. Genauer gesagt: Es war ein Winzer im Rheingau, der auch paar Kühe hatte. Die Erinnerung daran ist noch ziemlich frisch, anders als die Milch, die in jedem verfügbaren Gefäß im Freien stand. Das war, noch bevor in den späten 80er Jahren genau diese Situation zu einem Paradebeispiel wurde, warum Genossenschaften sinnvoll sind und sich als Rechtsform so stabil gehalten haben.
Warum ist das so? Dazu erstmal ein Schritt zurück. Die klassisch geprägte Ökonomie sucht immer den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage, geregelt auf Märkten über Preise. Alle verhalten sich total rational, und wenn man den Markt nur möglichst in Ruhe lässt, bekommt man schöne optimale Ergebnisse: Milchbauer und Molkerei einigen sich auf einen vernünftigen Preis, der Tankwagen kommt, holt die Milch ab, alle sind zufrieden. Fertig.
Schön. Aber manchmal geht Realität anders. Was, wenn es nur eine Molkerei gibt und die plötzlich den Bösen spielt: „Wir wollen weniger für Deine Milch zahlen. Was, Du willst nicht? Pech, dann holen wir Deine Milch einfach nicht ab.“
Um so etwas zu vermeiden, kommen Genossenschaften ins Spiel. Dazu muss man erstmal erklären, was das ist, eine Genossenschaft: Mehrere oder sogar viele Menschen, sagen wir: Milchbauern, tun sich zusammen und bilden ein Unternehmen. Sagen wir: eine Molkerei. Den Milchbauern gehört also die Molkerei – und von einem Unternehmen, das einem gehört, lässt man sich nicht unter Druck setzen.
Jetzt könnte man sagen: Auch, wenn man Aktien kauft, gehört einem ein kleines Stück Unternehmen. Aber in einer Genossenschaft hat jedes Mitglied eine Stimme, jeder das gleiche Gewicht also. Und nicht, wie in einer AG, ein Stimmgewicht je nach Größe des Aktienpakets: Mit wenig Aktien hat man vielleicht nur ein Stimmchen.
Genossenschaften gibt es in den verschiedensten Bereichen. Man erkennt sie an der Abkürzung im Namen: eG, eingetragene Genossenschaft. Entstanden ist diese Unternehmensform in Deutschland im 19. Jahrhundert. Und zwar immer mit dem Ziel, ihre Mitglieder zu fördern (so steht es im Genossenschaftsgesetz), und oft, sie vor Abhängigkeiten oder allzu mächtigen Konkurrenten oder Geschäftspartnern zu schützen. Ein paar Beispiele: Durch den Zusammenschluss in Volks- oder Raiffeisenbanken vor mehr als 100 Jahren erhielten Menschen Kredite, die sonst nie welche bekommen hätten. Wenn sich Händler oder Handwerker zusammentaten, um über eine Genossenschaft gemeinsam Waren oder Material einzukaufen, konnten sie wegen der größeren Abnahmemenge günstigere Preise aushandeln, die man ihnen sonst nie gewährt hätte. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Zwecke, um sich in einer Genossenschaft zusammenzuschließen.
Grundsätzlich nennt man so etwas Kooperation, also Zusammenarbeit. Die gibt es aber nicht nur in Form von Genossenschaften. Viele Elektro- und Elektronikhändler gehören zu einer Langenhagener Einkaufsgemeinschaft, die aber nicht als Genossenschaft organisiert ist. Die Idee hinter einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist, dass die Versicherten Mitglieder und Träger des Vereins sind. Große Versicherer auch in Hannover sind so entstanden. Und beim Franchising arbeiten unabhängige Unternehmer nach bestimmten Regeln zusammen. Kooperation und Zusammenarbeit sind also auch in einer Marktwirtschaft allgegenwärtig.
Genossenschaften, Versicherungsvereine, Kooperationen: In solchen Institutionen tun sich zwar Menschen zusammen, um gemeinsam etwas zu erreichen. Sie sind aber deshalb nicht unbedingt eine Form eines höheren, moralisch und ethisch besseren Wirtschaftens. Sondern die Zusammenarbeit muss schlicht und ergreifend vorteilhaft sein. Abläufe vereinfachen, Abhängigkeiten verhindern, Verhandlungspositionen verbessern. Ob das gelingt, untersucht inzwischen ein eigener Zweig der Wirtschaftswissenschaften: die Institutionenökonomik.

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