Ein prall gefüllter Plenarsaal der IHK Hannover belegt das hohe Interesse der Wirtschaft: Industrie- und Handelskammer und Industrie-Club Hannover hatten Kandidaten, die bei der hannoverschen Oberbürgermeisterwahl antreten, zu einer Diskussionsrunde eingeladen. Die verlief „in Teilen kontrovers“, wie IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Horst Schrage anschließend feststellte.

 

Beispiel Gewerbesteuern: Unter dem Strich will keiner der Kandidaten, die Ende September im IHK-Plenarsaal zur Diskussion antraten – Marc Hansmann, Belit Onay und Eckhard Scholz – sie erhöhen. Aber ebenso wiesen alle auf den Investitionsbedarf in der Stadt hin. Zwischen diesen Eckpunkten variierten die drei das Thema. Die klarste Absage an eine Gewerbesteuererhöhung kam von Eckhard Scholz: „Unbedingt darauf verzichten“, sagte er. Aber auch keine Erleichterung in Sicht, sagte Scholz mit Blick auf den Zustand von Schulen, Kindergärten, Bädern und Sporthallen in Hannover. Eine Neuverschuldung kann er sich nur bei Infrastrukturinvestitionen vorstellen. Auf der anderen Seite Belit Onay: Steuererhöhung? „Eher nicht“, so sein Aussage, und er betonte ebenfalls: „Investitionen müssen kommen.“ Für Onay ist Neuverschuldung ein Thema, insbesondere in der aktuellen Niedrigzinsphase. Keine Steuererhöhung, aber auch keine Senkung, jedenfalls nicht „in den ersten sieben Jahren einer Amtszeit“ als Oberbürgermeister, kündigte Marc Hansmann an. Auch er sieht die Notwendigkeit, einen hohen Investitionsbedarf zu finanzieren – „aber nicht auf Pump.“

Hansmann (48) hat einschlägige Erfahrung beim Haushalt Hannovers: Von 2007 bis 2017 war der SPD-Kandidat Kämmerer der Landeshauptstadt. Von dort aus wechselte der gebürtige Osnabrücker in der Vorstand der Energieversorgers Enercity AG, vormals Stadtwerke Hannover. Belit Onay (38) tritt für die Grünen an. Der Jurist stammt aus Goslar und hat Erfahrung in der Landes- und in der Stadtpolitik: Er war im hannoverschen Stadtrat und ist seit 2013 Landtagsmitglied. Der 55-jährige Eckhard Scholz, parteilos und für die CDU im Rennen, wurde in Königslutter geboren. Nach Hannover führte ihn schließlich eine Karriere im Volkswagen-Konzern: Zuletzt war er von 2012 bis 2018 Chef von VW Nutzfahrzeuge.

In der Endphase eines langen Wahlkampfes: Marc Hansmann, Eckhard Scholz und Belit Onay (v.l.)

Was antwortet jemand mit diesem beruflichen Hintergrund, wenn er nach einem Bekenntnis zum Industriestandort Hannover gefragt wird, wie es Moderator Conrad von Meding tat? Ob diese Frage, an ihn gerichtet, ernst gemeint sei, gab Scholz zurück. Hannover ohne Industrie: „Für mich nicht vorstellbar.“ So weit, so klar: Aber Rolle und Ansehen der Industrie sind durchaus ein Thema, und nicht nur HAZ-Redakteur von Meding wollte dazu Näheres wissen. Auch IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Horst Schrage hatte zuvor auf den industriellen Kern der Stadt hingewiesen, der seinen Platz behalten müsse. Und wie sehr das Thema den Unternehmen auf den Nägeln brennt, machte ein Unternehmer deutlich: Er erwarte, dass ein Oberbürgermeister die Industrie unterstützt – nicht zuletzt, um mehr Rückendeckung in der Bevölkerung zu gewinnen. Ein Bekenntnis zur Industrie kam auch von Marc Hansmann und Belit Onay, wobei insbesondere Onay unter dem Aspekt Nachhaltigkeit gemeinsam mit der Wirtschaft Nischen ausloten will.

Wenn man über Rolle und Perspektive der Industrie spricht, ist es nicht mehr weit bis zur Frage nach Gewerbeflächen – und zwar eindeutig auch für die Industrie, wie IHK-Chef Schrage anmerkte. SPD-Kandidat Hansmann forderte, bei der Bauleitplanung in größeren Zusammenhängen zu denken: Die heutige Bauleitplanung stamme im Kern noch aus den 50er Jahren. Mischgebiete ausweisen, als Stadt Gelände kaufen und entwickeln, sagte er bezogen auf konkrete Fälle.

Marc Hansmann

Gewerbegebiete werden eine Herausforderung bleiben, sagte Grünenpolitiker Onay. „Schützen, bewahren, weiterentwickeln“ – das stellte er dabei als Richtschnur in den Raum. Das von Eckhard Scholz ins Spiel gebrachte Vorbild einer Flächenvermarktung durch ein eigenes Unternehmen wie in Mönchengladbach, das sich an marktüblichen Kriterien orientiert, nannte er ein interessantes Beispiel.

Belit Onay

Hansmann hatte bereits das Problem angesprochen, die vorhandenen Flächen auf Gewerbe, Wohnen und Naherholung zu verteilen. Auf die Frage aus dem Publikum, wie denn die Prioritäten gesetzt werden müssten, forderte er „Wohnraum noch und nöcher“ – wobei Hannover die grünste Stadt bleiben solle. Belit Onay nannte Arbeitsplätze das A und O, sieht aber einen Mehrwert in kurzen Wegen dorthin. Für die drei Kandidaten spielt Verdichtung eine große Rolle, also die intensivere Nutzung von Flächen. Eckhard Scholz brachte dafür unter anderem Kasernengelände ins Spiel.

Eckhard Scholz

Neben den Flächen geht es aber auch um die Abwicklung von Bauvorhaben: Der CDU-Kandidat erntete den wohl größten Applaus des Nachmittags mit seiner Bemerkung, hier sei Hannover „katastrophal schlecht.“. Scholz forderte Digitalisierung und Transparenz: Wo steht ein Prozess, wann ist er abgeschlossen? Belit Onay nannte die Digitalisierung im Bereich der Bauverwaltung einen Baustein, der zur Beschleunigung beitragen könne. Und Marc Hansmann sprach einen weiteren Aspekt an: „Nicht nur die Papiere digitalisieren, sondern loslassen.“ Also innerhalb der Verwaltung Verantwortung delegieren und Prozesse nach Kundenbedürfnissen gestalten.

Auch in einem Bereich, den Moderator von Meding bewusst immer wieder als kontroverses Thema angesprochen hatte, noch bevor es überhaupt auf den Tisch kam, waren die Positionen weniger strittig als manche das erwartet hatten. Von Meding hatte das aktuelle Positionspapier hannoverscher Wirtschaftsverbände mitgebracht und daraus die Sorge abgeleitet, der Autoverkehr in der Stadt könne ausgegrenzt werden. Davon fühlte sich Belit Onay angesprochen, der mit dem Ziel einer autofreien Innenstadt bis 2030 angetreten ist. Bis dahin, sagte er, sei aber noch viel Zeit zur Umsetzung. Er will wirtschaftlich notwendigen Verkehr zulassen, und der Handel werde durch erhöhte Aufenthaltsqualität auch von weniger Autos profitieren, der öffentliche Nahverkehr müsse aber zu einer echten Alternative ausgebaut werden. Den grundsätzlichen Trend einer Verkehrswende bestätigte auch der langjährige Automanager Eckhard Scholz: „Es wird von uns erwartet, dass wir Dinge ändern.“ Er wies ebenfalls auf die nötige Unterscheidung zwischen Nutz- und Privatverkehr oder, mit anderen Worten, Liefer- und Personenverkehr hin. Scholz setzt auf Intelligenz und Analytik, auf die neue, vernetzte Autogeneration und damit das Ziel Smart City – davon profitiert die notwendige Verbesserung von Ampelschaltungen, die Vermeidung von Parksuchverkehr oder die Auslastung Parkflächen. Grundsätzlich forderte Scholz, den Verkehr in Hannover „wirklich nochmal neu zu denken“ und erinnerte an die ursprüngliche Stadtbahnplanung. Und er brachte noch einen weitere Aspekt ein: „Hannover ist zugeparkt.“ Das verringere unter anderem die Attraktivität der Stadt.

Auch Marc Hansmann sieht den Stadtverkehr vor einer grundsätzlichen Wende. Auf den Hauptverkehrsachsen soll der Verkehr fließen. Er will auch keinen Rückbau von Straßen, sondern sucht bei den Radwegen einen Lückenschluss. Das Fahrrad spielt in den Vorstellungen der drei Kandidaten eine wesentliche Rolle, für Pendler (Scholz), wobei auch die Unternehmen mitziehen müssten, etwa durch Angebote für ihre Mitarbeiter (Onay), und auch Sharing-Konzepte nicht nur, aber auch für das Fahrrad (Hansmann) gehören zur grundsätzlichen Veränderung des Mobilitätsverhaltens, das alle drei sehen. Also auch hier eine in Teilen kontroverse Diskussion, wie IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Horst Schrage schließlich bilanzierte.

 

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