Das Thema Arbeit 4.0 und Gesundheit stand beim Niedersächsischen Gesundheitskongress Mitte November in Hannover im Fokus.
[/vc_column_text][vc_column_text]Es kann auch der schönste Traumberuf zur Qual werden“, stellte Professor Dr. Bertolt Meyer beim 6. Gesundheitskongress des Niedersächsischen Studieninstituts für kommunale Verwaltung Mitte November fest. Vor rund 250 Teilnehmern im Schloss Herrenhausen in Hannover skizzierte der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Psychologie an der Technischen Universität Chemnitz, wie es mit der Gesundheit in den Belegschaften in Deutschland aussieht. So sei der durchschnittliche Krankenstand 2016 in fast allen Branchen gestiegen. Überproportional sei der Anteil psychischer Erkrankungen in der öffentlichen Verwaltung geklettert.Der promovierte Psychologe erforscht die Auswirkungen der Digitalisierung auf die psychische Gesundheit. Seine Eingangsthese: „Wir können Digitalisierung nicht stoppen. Aber wir können Hinweise darauf geben, wie Digitalisierung nicht krank macht.“ Arbeitsbelastung sei nicht per se problematisch. Arbeit könne sogar Spaß machen – wenn sie zu den Ressourcen der Mitarbeiter passe. Die Digitalisierung der Arbeit führe zu mehr IKT-Nutzung in allen Berufen, zu mehr zeitlicher Flexibilität und zu mehr Mobilität. Auch der Alltag der Beschäftigten ändere sich. In der Automobilindustrie beispielsweise brächten Roboter, die eine Karosserie zusammenschweißen, körperliche Entlastung. „Aber die technischen Neuerungen haben auch dazu geführt, dass immer mehr Arbeiten gleichzeitig zu erledigen sind. Immer mehr Arbeitnehmer fühlen sich gestresst.“
Die drei Top-Stress-Ursachen sind laut TK-Stressstudie 2016 zu viel Arbeit (64 %), Termindruck/Hetze (59 %) und Unterbrechungen/Störungen (52 %). Laut Meyer ist die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage, die auf Diagnosen im psychischen Bereich zurückgehen, zwischen 2004 und 2015 um 114 Prozent gestiegen. Mehr als ein Drittel davon sind Störungen aufgrund einer depressiven Episode. Diese dauerten im Durchschnitt acht Wochen.
Zwar würden die Krankheiten heute so in den AU-Bescheinigungen vermerkt. Aufgrund des demografischen Wandels wachse aber auch der Anteil älterer Arbeitnehmer. Diese Gruppe fühle sich von der Digitalisierung stärker gestresst. Meyer wies darauf hin, dass Arbeitgeber seit 2013 verpflichtet sind, dass eine physische und psychische Gefährdung möglichst vermieden wird. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeits-Tage aufgrund psychischer Belastungen würden von den Krankenkassen rückgekoppelt. Weil immer mehr Mitarbeiter ausfallen, gebe es zunehmend Probleme, Schichten zu besetzen. In diesem Kontext habe er letztens gehört: „Wir suchen jetzt resilientere Mitarbeiter.“ Ein übliches Vorgehen sei „Blaming the victim“. Mitarbeiter würden beschuldigt, sich nicht gesund ernährt, nicht genug geschlafen zu haben oder nicht stressresistent genug zu sein. 90 Prozent der Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements richteten sich auf Verhaltensprävention. Mitarbeiter würden mit Kursen zugeschüttet – das bedeute zusätzlich Stress. Dies sei aber nur die eine Seite der Medaille. „Psychische Gesundheit entsteht in den Köpfen.“ Meyer riet eindringlich dazu, subjektive Gefährdungen zu erfassen – und zwar im persönlichen Gespräch. „Lösungen von der Stange helfen nicht.“ Eine gute Orientierung böte auch das Deutsche Siegel Unternehmergesundheit. Meyer betonte die Bedeutung der Verhältnisprävention: „Die Beziehungen zu Kollegen und die Beziehung zur direkten Führungskraft sind entscheidend für das psychische Empowerment und die psychische Gesundheit und schützen vor Depression.“ Gesundheitsorientierte Führung könne aber nur funktionieren, wenn Führungskräfte mit gutem Beispiel voran gingen. „Führung ist immer symbolisches Handeln. Führungskräfte haben immer eine Vorbildfunktion.“
4 Fragen an …
Herr Professor Meyer, macht Digitalisierung die Arbeitnehmer gesünder oder kränker?
Digitalisierung führt zu einer körperlichen Entlastung. Wir sehen deutlich weniger Verletzungen und Unfälle. Ein zweiter positiver Aspekt ist, dass Digitalisierung zu einer höheren Flexibilität bei der Arbeitsgestaltung führt. Das kann – je nach Person – positiv oder negativ empfunden werden. Die Digitalisierung ist aber auch einer der Gründe für steigende Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Belastungen. Hier hat der Gesetzgeber bereits gegengesteuert: Unternehmen sind seit 2013 verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung zu den psychischen Belastungen am Arbeitsplatz durchzuführen. Daher bin ich vorsichtig optimistisch, dass wir das in den Griff bekommen.
Wie drückt sich das in Zahlen aus?
Wir wissen, dass durch den Arbeitsausfall durch psychische Erkrankungen 2012 Folgekosten in Höhe von über 30 Mrd. Euro entstanden sind – Tendenz steigend. Das hat inzwischen drastische Auswirkungen für die deutsche Volkswirtschaft.
Was macht ein typischer Mittelständler für die Gesundheit seiner Mitarbeiter?
Der typische Mittelständler hat eine Krankenkasse als Sozialpartner, von der er Maßnahmen zur Verhaltensprävention erhält: Rückenschule, Ernährungsberatung, Stresstrainings. Eventuell gibt es eine Betriebssportgruppe oder Zuschüsse zum Fitnessstudio, kostenloses Wasser oder einen Obstkorb. Das ist auch alles gut und richtig. Aber bei den meisten Führungskräften ist noch nicht in den Köpfen angekommen, dass sie die Gesundheit ihrer Mitarbeiter durch Vorbildverhalten beeinflussen. Gesundheitsprävention muss Teil der Organisations- und Führungskultur werden. Dazu gehört auch eine entsprechende Arbeitsgestaltung.
Welche Tipps würden Sie Unternehmern geben, um den Krankenstand zu senken?
Erstens: Setzen Sie sich mit dem Thema psychische Gesundheit der Mitarbeiter auseinander. Viele Berufsgenossenschaften bieten zur psychischen Gefährdungsbeurteilung Broschüren an. Das ist auch für kleine Unternehmen kein Hexenwerk. Sorgen Sie dafür, dass das Thema kein Igitt-Thema wird, sondern nehmen Sie es unaufgeregt ernst. Wenn ein Arbeitnehmer Stress hat – beispielsweise Pausen durcharbeitet – sprechen Sie das an. Gestehen Sie dem Mitarbeiter eine Pause zu. Wenn sich jemand aus psychischen Gründen krank meldet, loben Sie die Offenheit. Zweitens: Versenden Sie keine Arbeitsanweisungen per E-Mail am Wochenende und am Feierabend. Sie sind selber Vorbild. Wenn Sie Ihre eigene Gesundheit ruinieren, ist das Vorbild für alle Ihre Mitarbeiter. Und drittens: Man kann nicht von allen Mitarbeitenden erwarten, dass sie 115 Prozent für Ihre Karriere geben. Viele Menschen finden auch außerhalb der Arbeit Erfüllung – und das ist vollkommen in Ordnung.
Die Fragen stellte Barbara Dörmer[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_text_separator title=“Kontakt zum Autor“][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]